: Ein ganzes Jahr Rot-Grün in Hamburg
■ AusländerInnen, Drogen, Jugend, Sauberkeit und die Kultur: Teil III des taz-Koalitions-Checks
AusländerInnen
Ein erklärtes rot-grünes Ziel war, die Ausländerbehörde umzustrukturieren – sowohl die Verfahrensabläufe als auch die „Grundorientierung“. Im Sommer jedoch stiegen die InteressenvertreterInnen der Flüchtlinge aus der eigens dafür gebildeten Arbeitsgruppe aus. Denn die Innenbehörde, so die Bilanz, verweigere sich jeglicher Verbesserung für die Flüchtlinge. Viele AusländerInnen mußten im vergangenen Jahr umziehen. Der Senat hat die Hotel- und Containerunterbringung beendet. Zwei der vier Wohnschiffe in Neumühlen haben ihren Anker gelichtet, und das ungastliche und völlig überteuerte Hotel „Interrast“ steht ebenfalls leer.
Randvoll belegt ist dafür nach wie vor das Abschiebegefängnis Glasmoor. Darin befanden sich sogar im Frühjahr Algerier, als täglich Nachrichten über Massaker aus dem Bürgerkriegsland kamen. Nun bricht der Winter herein, und dennoch ist es für den Senat nicht selbstverständlich, die Abschiebung von BosnierInnen in ihr immer noch weitgehend zerstörtes Herkunftsland auszusetzen. Die GAL muß darüber erst noch mit dem Regierungspartner verhandeln. Ein Fortschritt ist indes zweifellos, daß Hamburg ein eigenständiges Aufenthaltsrecht für Frauen geschaffen hat, die zuvor über eine Heirat nach Deutschland gekommen und deshalb fest an die Ehe gebunden waren. ee
Justiz
Die Justizpolitik in Hamburg ist neuerdings recht originell. Nicht, daß sich etwa für die Gefangenen in den Haftanstalten etwas verbessert hätte. Aber Senatorin Lore Maria Peschel-Gutzeit (SPD) hat Ideen. Erst führte sie die Presse durch die Gefängnisse und öffnete selbst die Türen zu Zellen, die nicht wenige MedienvertreterInnen später als „Folterkammer“ bezeichneten. Dann regte sie an, StraftäterInnen den Führerschein wegzunehmen, statt ihnen eine Geld- oder Freiheitsstrafe aufzubrummen.
Während der alte Senat es bei dem Versprechen beließ, das Gefängnis vom ehemaligen KZ-Gelände in Neuengamme zu verlegen, konkretisieren sich nun die Planungen. Modellhaft läuft im Bezirk Mitte der Versuch, auf frischer Tat ertappte StraftäterInnen möglichst unmittelbar vor Gericht zu stellen. Damit löst der Senat das Versprechen an die BürgerInnen ein, ihre hochgeputschten Ängste vor Kriminalität ernst zu nehmen. Und in einem Punkt ist die Senatorin zu keinem Kompromiß bereit: Bestraft werden sollen auch Bagatelldelikte wie etwa ein Ladendiebstahl im Wert von wenigen Mark. ee
Drogen
Noch nie liefen so viele PolizistInnen durch das Schanzenviertel wie heute. Lehnte die GAL zu Oppositionszeiten Platzverweise und Festnahmen als integralen Bestandteil einer „Drogenpolitik“ ab, trägt sie die polizeiliche Repression nun mit. Allerdings soll die repressive Seite mittlerweile stärker von Drogenhilfe-Maßnahmen flankiert werden, zumindest hat der Senat weitere Fixerstuben beschlossen und teilweise auch schon eingerichtet. Zudem wird es den Modellversuch zur kontrollierten Heroinabgabe an Schwerstabhängige wohl tatsächlich geben – ermöglicht durch die Koalitionsvereinbarungen auf Bundesebene. Insgesamt orientiert sich Hamburg immer mehr am Schweizer Vorbild: Die „Szene“ darf auf der Straße nicht sichtbar sein. ee
Jugend
Enttäuschend an der neuen Koalition ist deren Umgang mit der Jugendkriminalität. Zwar hat die GAL die Hysterie nicht mitgeschürt, die nach dem Mord von Tonndorf aufkam, aber mehr als nichts hat sie auch nicht getan. Die „Enquetekommission Jugendkriminalität“ ist so sehr mit der Gestaltung ihrer Tagesordnung beschäftigt, daß sie sich dem eigentlichen Thema noch kaum angenähert hat. Das gleiche gilt für die gesellschaftlichen Ursachen für Jugendkriminalität. Die Öffnungszeiten der Jugendclubs wurden nicht ausgeweitet, der Stellenschlüssel ist immer noch dürftig, und erfolgreiche Konzepte zur Vermittlung Jugendlicher in Ausbildungsplätze liegen auch nicht vor. Selbst die Absage des Senates an die Forderung so mancher PolitikerInnen aus den eigenen Reihen, wieder geschlossene Heime für jugendliche Intensivtäter einzuführen, ist so fortschrittlich nicht. Statt dessen nämlich wurde eine Einrichtung geschaffen, in der kriminelle Kids pausenlos einen Betreuer um sich haben – und fernab des regulären Jugendhilfesystems gehalten werden. ee
Sauberkeit
Ins Regierungsgewand gekleidet sieht der grüne Stadtentwicklungssenator Willfried Maier die Innenstadt plötzlich mit anderen Augen. Polizeipatrouillen seien gut und in der City sehenswert, befand er plötzlich und arbeitete maßgeblich am Konzept „Koordiniertes Handeln am Hauptbahnhof“ mit. Die linke Fraktionsvize Anna Bruns schrie entsetzt „grünes Bettlerpapier“ auf. In der Folge wurde nicht etwa das Papier vernichtet, sondern Anna Bruns nahm ihren Hut. Die Frage, wie die City konsumfreudig gestaltet werden kann, bewegt die Behörden immer noch stark.
Eine behördenübergreifende Arbeitsgemeinschaft „Attraktive City“ schwärmt in ihrem Abschlußbericht von „hochwertigen Formen des Wohnens“ und „attraktiven Gastronomiebetrieben“ – und davon, das Hausrecht an öffentlichen Plätzen auf private Geschäftsleute zu übertragen, auf daß die vor ihrer Eingangstür selbst für Recht und Ordnung sorgen dürfen. Hier allerdings sprach der grüne Senator ein Machtwort. Mal sehen, ob er es hält. ee
Kultur
Kommt fast immer ganz am Schluß. Die Förderung von Kultur steht schließlich als erstrebenswertes Ziel nicht in der Hamburger Verfassung. So wäre bereits positiv zu bemerken, daß die Kulturbehörde handlungsfähig geblieben ist. Die parteilose Senatorin Christina Weiss sorgt zwar für Kontinuität, doch ist ersichtlich, daß keine Veränderungen angestrebt wurden, die eine Herzensangelegenheit der Koalition gewesen wären. Kultur stellt mit unter zwei Prozent des Haushalts weiterhin das Schlußlicht dar. Um so erbärmlicher, daß auch in diesem Etat weiter gekürzt wurde. Besonders die Streichung der Hälfte der Hamburg-Stipendien für bildende Kunst wurde rigoros durchgesetzt, obwohl es sich nur um eine Einsparung von 96.000 Mark handelte. Die freie Theaterszene und die Stadtteilkultur, traditionelle Lieblinge der Grünen, kamen eher besser weg. Auch bei Film und Kunst bleibt der Trend zur Verlagerung von Kosten und Entscheidungen auf privates Engagement ungebrochen. Das gilt nicht nur für werbewirksames Sponsoring der Industrie, das geht bis zur Stiftung ganzer Museumsbauten, wie die im Juni begonnene Erweiterung des Museums für Kunst und Gewerbe.
Als Erfolg muß hingegen der Abschluß der seit 1995 geplanten Verselbständigung der Museen zum 1. Januar 1999 gelten, eine kostenneutrale Strukturreform mit ungewissem Ausgang, die immerhin im Koalitionsvertrag festgeschrieben worden war. Zudem wurde ein neuer Leiter des Denkmalschutzamts bestimmt, und die im Jahr 2000 neu zu besetzenden Intendanzen von Schauspielhaus und Thalia-Theater wurden bereits jetzt ohne Turbulenzen geregelt. Weiterer politischer Gestaltungswille wird sich in den nächsten Haushaltsdiskussionen spiegeln. josch
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