: Wie an der Uni lernen für das Schulleben?
■ Universität, GEW, StudentInnen und Behörde streiten um die künftige Lehrerausbildung
Lange war es wenig mehr als eine akademische Frage, wie die Bremer LehramtsstudentInnen auf die Praxis in der Schule vorbereitet werden sollen. Zumindest hierzulande hatten ohnehin nur die wenigsten eine Chance auf eine Stelle. Das dürfte sich in der näheren Zukunft ändern, denn in den Schulen steht eine Welle von Pensionierungen bevor. Bernd Laudenbach vom Landesinstitut für Schule (LIS) geht davon aus, daß Bremen bis 2003 rund 1.300 LehrerInnen einstellen muß. Andere ExpertInnen halten diese Zahl allerdings für zu hoch gegriffen. Sicher ist: Es wird frisches Blut an den Schulen geben.
Darum ist es kein Zufall, daß gerade jetzt auch die Diskussion um Qualität und Praxisbezug der Lehrerbildung wieder aufflammt. Die Bildungsbehörde hat eine Novellierung der Lehrerprüfungsordnung (LPO) vorgelegt (siehe Kasten), um die Vorbereitung auf den Schulalltag zu verbessern und den Anforderungen der Kultusministerkonferenz zu genügen.
Um diesen Vorstoß ist aber handfester Streit entbrannt, der sich – wie so oft in der Bildungsdebatte – zum einen an der Sache, aber mindestens ebenso stark am Vorpre-schen der Behörde festmacht. Kernpunkt der Novelle aus dem Hause der Senatorin Bringfriede Kahrs (SPD) ist das Praxissemester, das die Behörde nach dem vierten Studiensemester obligatorisch für alle einführen will.
An der Uni gab es daraufhin einen Aufschrei: „Das wird uns von Kahrs aufgedrückt“, klagt Professor Rudolf Schmitt, der vom Akademischen Senat mit Fragen der Lehrerbildung beauftragt ist. Es gebe kein Konzept für die Gestaltung des Praktikums, ferner sei nicht klar, welche Inhalte bei der wissenschaftlichen Ausbildung wegfallen sollten, wenn die Gesamtstudienzeit – wie gewünscht – weiterhin bei neun Semestern liegen solle. Kritker, zu denen auch die Gewerkschaft GEW gehört, vermuten, Senatorin Kahrs wolle sich mit der schnellen Einführung eines Praxissemesters bundesweit profilieren. Schließlich werde auch in anderen Bundesländern ähnliches erwogen.
Weil aber die Universität glaubhaft machen konnte, daß Studien- und Prüfungsordnungen nicht so schnell angepaßt werden können, wurde die Einführung der LPO inklusive Praxissemester aufs Wintersemester 1999/2000 verschoben. In der Zwischenzeit sollte die Uni neue Praxismodelle erproben.
Doch damit war der Streit nicht bereinigt: Die Behörde möchte trotzdem die LPO zum 1.1.1999 in Kraft setzen und rückwirkend auch für die StudienanfängerInnen aus 1998 gelten lassen. „Das sorgt für erhebliche Unsicherheit“, sagt Walter Haar, im AStA für die Lehramtsstudis zuständig. Denn neben dem Praxissemester und einer obligatorischen Zwischenprüfung haben sich auch einige Leistungsanforderungen geändert. Auch für die Uni-Leitung ist das Vorgehen der Behörde nicht hinnehmbar. Ein Spitzengespräch ist für Ende des Monats vereinbart. Als möglichen Kompromiß schwebt der Uni laut Sprecher Uwe Gundrum vor, die neue LPO zwar zum Jahreswechsel in Kraft zu setzen, die Anforderungen jedoch erst zum Wintersemester 1999/2000 rechtswirksam werden zu lassen.
Ob nun ein halbes Jahr Praxis nach dem vierten Semester sinnvoll ist oder nicht, darüber gehen die Meinungen auseinander. Andreas Lennert, in der Bildungsbehörde für Lehrerausbildung zuständig, hebt die Vorteile eines Praktikums gegenüber den bisher in Bremen üblichen Projektphasen hervor, in denen die Studis zehn Unterichts-einheiten selbständig vorbereiten müssen. „In der Schule lernen sie die reale Arbeitssituation von Lehrern kennen, mit der notwendigen Organisationsarbeit, Klassenfahrten, Elternsprechtagen“. Lennert weist Gerüchte zurück, die unter LehrerInnen und StudentInnen kursieren: StudentInnen sollen nicht selbständig Unterricht abhalten. „Das ist kein Sparmodell.“
Angehende LehrerInnen, die ihren „Praxisschock“ im Referendariat hinter sich gebracht haben, sehen nach ihren Erfahrungen freilich das Risiko, daß PraktikantInnen an den Schulen nicht ordentlich betreut und stattdessen als billige Hilfskräfte eingespannt werden. „Natürlich kriegt man von überlasteten Lehrkräften nach einer kurze Einführung gesagt: Übernimm mal“, sagt eine Referendarin. Für sie ist das Praxissemester nur eine Abschreckung, die Finger vom Lehrerberuf zu lassen, nachdem bereits das Referendarsgehalt um bis zu 500 Mark gekürzt wird. Studentin Susanne Hartmann sieht im Praxissemester Probleme für jene, die neben dem Studium jobben müssen oder Familien haben. Für die sei das nicht finanzierbar.
Joachim Fahrun
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