: Der stille Mann muß seinen Wortschatz erweitern
■ Gemein? Niemand will glauben, daß ausgerechnet der Vogts-Knecht Rainer Bonhof die richtigen Worte finden wird, um die Seelen der kränkelnden Profis von Borussia Mönchengladbach zu streicheln
Noch werden Wetten angenommen, was er wohl als erstes verbessern will, der neue Mann am Bökelberg. Wird er Standardsituationen üben lassen, damit nicht jedem Eckball in den Gladbacher Strafraum ein Torerfolg des Gegners folgt? Wird er Distanzschüsse trainieren lassen, damit die Borussia zwei Jahre nach Kastenmaiers letztem Böller mal wieder von jenseits der Strafraummarkierung trifft? Oder wird er seine Jungs in den Kraftraum bitten, damit sie echte Männer werden, wie Vorgänger Rausch schon immer markig gefordert hat?
Nein, vermutlich wird er sich zu allererst an der Volkshochschule für den nächsten Rhetorikkurs anmelden. Auf Rainer Bonhof (46) nämlich, seit Dienstag nachmittag Cheftrainer beim Bundesliga-Tabellenletzten Borussia Mönchengladbach, kommen mit Antritt des neuen Jobs gänzlich neue verbale Herausforderungen zu. Als ewiger Co-Trainer und getreuer Berti-Vasall auf dem nationalen Bänkchen hörte man ihn einst allenfalls einmal „Raus!“ schreien, wenn er seine Schutzbefohlenen um eine hübsche Abseitsfalle bat.
Oder man sah ihn griesgrämig zum Pausentalk mit TV-Schnauz Waldemar Hartmann trotten, um vor dem neugierigen Fernsehvolk einsilbig zu mutmaßen, was sein Chef in der Kabine gesagt haben könnte („mehr über die Flügel“). Heute muß er plötzlich die richtigen Worte finden, um seinen in einem Hotel versammelten Jungs von Witeczek bis Wynhoff möglichst schon bis zum morgigen Spiel in Rostock die Verunsicherung im Umgang mit der Kugel auszutreiben. Gestern hat er es dabei belassen, einen „totalen Neuanfang“ auszurufen und den Spielern zu unterstellen, sie könnten „viel mehr, als sie zuletzt gezeigt“ hätten, und dergleichen.
Aber bald wird er womöglich mehr und blumigere Sätze bilden müssen, um zu erklären, warum es doch nicht so gelaufen ist, wie er sich das eigentlich gedacht hat. Oder warum rund um Mönchengladbach nach seiner Verpflichtung eigentlich niemand „Halleluja!“ oder wenigstens „Hosiannah!“ gerufen hat. Dabei ist er doch einer aus der legendären Fohlen-Garde, die Borussenfreunde in der ganzen Republik so gerne an der Macht sähen. Liegt's daran, daß er als Spieler immer den Klopper statt den Künstler gegeben hat? Liegt's daran, daß er dereinst für die nun abgehalfterte CDU Reklame gelaufen ist? Liegt's daran, daß es ihn am knorpelgeschädigten Ende seiner Karriere ausgerechnet zur unsympathischen Hertha und noch ausgerechneter zum Dauerrivalen aus Kölle zog? Oder ist man als langjähriger Vogts-Adlatus hierzulande automatisch unten durch?
Mitnichten – der wahre Grund für die zurückhaltende Aufnahme des vermeintlichen Retters liegt wohl in seiner Vergangenheit begründet. Der kleine Rainer wurde zwar am 29. März 1952 im nordrhein-westfälischen Grenzörtchen Emmerich geboren, entpuppte sich aber direkt nach seinem ersten Schrei als – Holländer! Selbst als er der Kickerkarriere wegen später vom Niederländer zum Deutschen mutierte und 1974 gar Weltmeister wurde: das Image des „Kääskopps“ ist der Spätgermane im windmühlenfeindlichen Grenzgebiet nie so richtig losgeworden.
Mit Holländern nämlich hat Borussia Mönchengladbach – vom 5:1-Uefa-Cup-Triumph über Twente Enschede einmal abgesehen – traditionell eher unangenehme Erfahrungen gemacht, kulminierend in dem berüchtigten Schiri van der Kroft, der mit skandalösem Gepfeife und zwei aberkannten Toren 1976 für das Europacup-Aus Gladbachs bei Real Madrid sorgte.
So einer, fragt man sich rund um den Bökelberg, soll nun die Borussia aus dem Schlamassel ziehen? Wenn's hinhaut, wird das bronzene Kunstwerk in Eickens Fußgängerzone bald neben den Netzer-Wimmer-Vogts-Schädeln wohl noch zusätzlich das stolze Haupt Bonhofs zieren. Wenn's danebengeht und Bonhof darob achtkantig rausgeschmissen wird wie seine erfolglosen Vorgänger auch, dann bleibt von ihm wenigstens ein denkwürdiger Spitzname: der Fliegende Holländer... Holger Jenrich
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen