piwik no script img

Benigni allein im KZ

Von gewiß großem Charme und doch problematisch: Roberto Benignis Tragikomödie „Das Leben ist schön“  ■ Von Brigitte Werneburg

Italiens Erfolgsfilm

Alle Welt liebt Roberto Benignis „Das Leben ist schön“. In Italien war die Komödie, die im Konzentrationslager spielt, nach „Titanic“ der erfolgreichste Film des Jahres 1997. Allein in Rom lief sie gleichzeitig in neunzehn Kinos. Und als sie, leicht umgeschnitten und mit der Warnung versehen, daß es sich hier um ein Märchen handle, im Mai 1998 nach Cannes kam, wurde sie dort mit dem Großen Preis der Jury ausgezeichnet. Wenig später gewann sie auf dem Jerusalem Film Festival den Jewish Experience Award. Beim International Film Festival von Toronto wie auch dem von Vancouver folgten dann weitere Preise. Es steht zu erwarten, daß Benignis Film mindestens einen Oscar gewinnen wird. War doch schon zu lesen, daß die Akademiemitglieder den Verleiher Miramax, der für die internationalen Rechte sieben Millionen Dollar bezahlte, aufforderten, sich mit „Life is Beautiful“ in weiteren Kategorien zu bewerben, nicht nur in der für den besten ausländischen Film.

Alle Welt liebt Roberto Benignis „Das Leben ist schön“. In Frankreich, wo „La vie est belle“ vor einem Monat startete, waren zuvor Sondervorführungen angesetzt worden, unter anderem, um auch die Stimmen der jüdischen Gemeinden einzuholen. Die Reaktionen waren durchweg positiv. Auch hier in Deutschland sieht es bislang nicht anders aus. Die Rezensionen in der deutschsprachigen jüdischen Presse sind zustimmend. Und die letzte Woche vom Stern für seine Leser organisierten Sondervorführungen in zwanzig deutschen Großstädten hatten ebenfalls ein begeistertes Publikum. Auch eine Sonderveranstaltung der Landeszentrale für politische Bildung in Wiesbaden, zu der Lehrer und andere Pädagogen in der Jugendarbeit sowie 200 Schüler eingeladen waren, stellte sich als großer Erfolg heraus. Die Schüler fanden, daß der Holocaust gar keine so große Rolle spiele und stimmten letztlich der Formel zu, mit der der Film international annonciert wird: „Eine unvergeßliche Fabel über die Liebe, die Familie und die Macht der Vorstellungskraft“. Nur zwei Prozent der Besucher, so die Erfahrungen des französischen Verleihers René Berchaux, mögen den Film nicht.

Die ländliche Burleske

Nein, nicht alle Welt liebt Roberto Benignis „Das Leben ist schön“. Dabei muß man seine Komödie keineswegs als rundweg schlechten Film verdammen. Aber sie ist ein eitles Machwerk – von gewiß großem Charme und einiger Dramatik. Und damit gibt sie auf die Frage, ob nun auch Komödien über den Holocaust möglich sind, eine unbefriedigende Antwort. Da sausen also Guido (Roberto Benigni) und sein Freund Ferruccio (Sergio Bustric) in ihrem Auto durch ein ländliches Italien, in dem die Bauern frisch herausgeputzt auf der Straße stehen, um ihren König zu begrüßen, der hier heute die Runde macht. Nun fügt es sich aber, daß die Freunde früher dran sind als der König. Und weil die Bremsen ihres Autos nicht funktionieren, sieht sich Guido gezwungen, die Begrüßungsabordnung aufrecht im Wagen stehend mit weit ausgestrecktem Arm zu warnen. Natürlich wird das unter frenetischem Jubel mißverstanden. Nur, als der König hinterherkommt, ist niemand mehr darauf vorbereitet, ihm zuzuwinken.

Mit viel Schwung zieht das Freundespaar 1939 in Arezzo ein. Guido, der eine Buchhandlung eröffnen möchte, wird von seinem Onkel zunächst als Kellner im Grand Hotel angelernt, und Ferruccio, der eigentlich ein Dichter ist, arbeitet beim örtlichen Polsterer. Obwohl dessen Zwillingssöhne Benito und Adolfo heißen, ist die Sache mit dem Faschismus wohl nicht so richtig ernst zu nehmen, denn der Kampf zwischen ihm und Guido entspannt sich nicht um Politik, sondern nur um seinen schicken schwarzen Hut.

Roberto Benigni ist ein italienisches Erfolgsphänomen, international bekannt durch Fellinis „La voce della luna“ und Jim Jarmuschs „Down by Law“ oder „Night on Earth“. Er ist ein dürrer Zappelphilipp, dem die Haare ausgehen und der sein genuscheltes Toskanisch so heftig ausspuckt, wie er seine Arme und Beine durch die Gegend schleudert. Eine der besten Szenen seines Films ist demgemäß die, in der er einen faschistischen Schulinspektor spielt, der den Schülern anhand seiner eigenen schiefen Figur erklärt, warum die italienische die schönste und edelste Rasse der Welt ist. Selbst sein Nabel, so stellt sich verblüffenderweise heraus, ist schlicht und einfach der Nabel der Welt.

Zu diesem Zeitpunkt kämpft Guido noch um die schöne Lehrerin Dora (Nicoletta Braschi, die merkwürdigerweise Zarah Leander ähnelt und im realen Leben Benignis Ehefrau ist). Denn die ist leider (noch) mit einem faschistischen Funktionär verlobt. Der Eroberung der holden Dora sind denn auch die hübschesten Einfälle der ersten Stunde gedankt, in der „Das Leben ist schön“ ganz in der Tradition der italienischen Burleske steht. Natürlich gewinnt Guido Dora und verschwindet mit ihr im Gewächshaus des Onkels, aus dem die beiden (ohne sichtbaren Schnitt) Jahre später wieder herauskommen, mit einem kleinen Sohn an der Hand. Doch kaum hat sich sein Traum von der wunderbaren Familie und der Buchhandlung – die nun ein kleines Schreibwarengeschäft ist – erfüllt, werden Guido, sein Onkel und der kleine Giosuè (Giorgio Cantarini) als Juden in ein Konzentrationslager deportiert, das ein Vernichtungslager ist.

Der Nabel der Welt

War Benigni bis dahin von einem ganzen Kreis weiterer Figuren umgeben – Dora, dem hinreißenden Onkel (Giustino Durano), dem komischen Konterpart seines Freundes Ferruccio oder dem steifen deutschen Hotelgast Dr. Lessing (Horst Buchholz), dem Guido beim Lösen von Rätseln hilft –, hat er nun die Bühne für sich allein. Leider ist das Lager nur eine Bühne. Und leider ist er dort auch ganz allein. Denn seine Mitgefangenen sind tatsächlich nur Statisterie; sie gehören zur Dekoration wie die eisernen Ambosse, die Guido zum Schmelzofen schleppen muß. Sind sie Juden, sind sie Resistenza, Kommunisten? Man weiß es nicht. Und sowenig es in diesem Sinne jüdische Gefangene gibt, sowenig gibt es deutsche Nazis. Egal, ob im gestreiften Häftlingsanzug oder in Uniform, die Menschen um Benigni herum sind nichts als Stichwortgeber, Stereotype einer Tragödie, die freilich nicht Holocaust heißt, sondern Benigni, der Nabel der Welt. Außer ihm darf niemand komisch sein. Wenn Benigni also mit seinem Film auch den Überlebensmut der Häftlinge angesichts der Lagergreuel würdigen wollte, dann kann der Witz ihm doch wohl kaum allein gehören. Aber nachdem Dora, die ihrer Familie freiwillig ins Lager folgte, in der Frauenabteilung verschwand und der Onkel zum Duschen, also in den Tod, ging, ist der kleine Giosuè der einzige, der Benigni noch Paroli bieten könnte – wenn er es denn könnte.

Doch der Vater gibt dem Knirps keine Chance. Lustig erklärt er seinem Sohn das Spiel, das Giosuè das Leben retten wird. Es geht um die in den Uniformen gegen die im Häftlingsanzug: Wer zuerst tausend Punkte hat, gewinnt einen echten Panzer, kein doofes Kinderspielzeug. Also vergißt Giosuè die Marmeladebrote, versteckt sich in den Stockbetten der Baracke; er quengelt ein wenig wegen der Langeweile; er fragt auch mal wegen der Seife nach, die aus ihnen gemacht werden soll; aber der Moment, auf den man eigentlich wartet, daß er nämlich seinen Vater wenigstens ein einziges Mal fragen darf, ob die Wahrheit nicht eine ganz andere ist als die des Tausendpunktespiels, diesen Moment gibt es nicht. Denn Benigni spielt auf Teufel komm raus den Übervater, er spielt sich das Herz aus dem Leib, er ist hier, er ist da, er ist überall.

Immer wieder erfindet er neue Szenen, seinen Sohn zu entzücken und die Wachmannschaft zu übertölpeln. Selbst zu seiner Hinrichtung hampelt er stocksteif wie Pinocchio, damit Giosuè weiter an das Spiel glaubt. Als die Deutschen das Lager geräumt haben und die übriggebliebenen Gefangenen davongegangen sind, kommt Giosuè schließlich aus seinem Versteck. Und endlich steht da auch der versprochene Panzer, kein doofes Kinderspielzeug, sondern etliche Tonnen Stahl mit einem freundlichen Amerikaner im Auslug.

Für sich genommen haben diese Szenen ihren Witz und ihre Dramatik, doch sie stehen gegen einen merkwürdig leeren Hintergrund, gegen eine verweigerte Geschichte. Und sowenig ein solches Lager historiographisch genau beschrieben sein muß, so exemplarisch es angelegt sein kann, es muß deshalb nicht gleich das Lager für den pädagogischen Hausgebrauch sein. Mit einer Gaskammer zwar, aber einer Wachmannschaft, die nie zuschlägt. Die grimmig tut, aber jederzeit reinzulegen ist. Müßte „Das Leben ist schön“ vor der Geschichte des Holocaust, vor der der Film spielt, tatsächlich nicht etwas mehr sein als nur die unvergeßliche Fabel über die Liebe, die Familie und die Macht der Vorstellungskraft, wie er beworben wird?

Doch Benigni erzählt tatsächlich nur ein sentimentales Märchen der Vaterliebe – und keine Legende des Widerstands. Und wenn es gleich – wie der Psychoanalytiker Jean-Jacques Moscovitz kritisiert – des größten Verbrechens dieses Jahrhunderts bedarf, um diese Geschichte einer Vaterliebe zu erzählen, dann darf man darin durchaus eine Form des Männlichkeitswahns erkennen. Man muß sicher nicht so weit gehen wie der französische Filmkritiker Jean-Michel Frondon, der in Le Monde schrieb, es gebe eine Haltung gegenüber Benignis Film, die laute: Wir werden über diesen Film nicht diskutieren, denn er hat uns emotional tief bewegt. Und diese Haltung, die das Gefühl gegen das Denken ausspiele, die den kritischen Geist verneine, sei im Grunde faschistisch. Ebensowenig kann man freilich mit den Bewunderern und Verteidigern Benignis konform gehen, die diese Haltung ausgerechnet als eine „große Humanität“ bezeichnen.

„Das Leben ist schön“. Regie: Roberto Benigni. Mit Roberto Benigni, Nicoletta Braschi, Horst Buchholz. Italien 1997, 124 Min.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen