■ Die Gesundheitsministerin stellt sich an die Seite der Patienten: Ein schnell gestrickter Entwurf
Als große Visionärin präsentierte sich Andrea Fischer gestern nicht. Aber hatte das jemand von der neuen grünen Gesundheitsministerin überhaupt erwartet? Im kommenden Jahr will sie ihre Reformvorstellungen des Gesundheitswesens vorlegen – nachdem Fachleute jeder Couleur in einer noch einzurichtenden Reformwerkstatt über die Frage nachgedacht haben, wieviel Gesundheit die Solidargemeinschaft jedem einzelnen in Zukunft bezahlen kann. Hätte Fischer sich gestern dazu geäußert, wäre sie ins offene Messer der Gesundheitslobbyisten gelaufen, vor denen sich schon ihr Vorgänger Horst Seehofer kaum retten konnte. Andrea Fischer geht den unausweichlichen Konflikt in kleinen Schritten an. Sie hat als erstes ein Zeichen gesetzt, mit dem sie die gesundheitspolitische Landschaft markiert.
Die Regierung steht auf der Seite der Versicherten und Patienten. Es gilt wieder das Sachleistungsprinzip, die Krankenkassen verlieren den Charakter von Privatversicherungen, Kranke sollen nicht weiter durch Zuzahlungen bestraft werden. Das alles hatte sich die Mehrheit der Bevölkerung vor den Wahlen gewünscht. Innerhalb von 14 Tagen legte die neue Regierung das „Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung“ vor. Ein schnell gestrickter Entwurf. Was wird aus den renovierungsbedürftigen Krankenhäusern, wenn das Notopfer ausbleibt? Die Arzneimittelausgaben sollen budgetiert werden. Was ist mit Patienten, wenn der behandelnde Arzt im nächsten Herbst bemerkt, daß er sein Budget ausgeschöpft hat? Bekommt der Aidskranke auch dann sein teures Medikament weiter verschrieben? Schieben Kliniken Schwerkranke bei drohender Budgetüberschreitung ab, oder setzen sie sie auf eine Warteliste? Die neue Gesundheitsministerin nahm diese komplizierten Detailfragen erst gar nicht in ihre Rede auf.
Andrea Fischer hat auf die strukturellen Fragen der Gesundheitsreform wenig konkrete Antworten gegeben. Die verordneten Budgets verkaufte sie mit viel Charme und machte klar, daß sie jeden Fehdehandschuh aufnimmt, den ihr die Lobby hinwirft. Sie hat ihr Talent als Kommunikatorin gezeigt. Geschickt wird sie ihre Kontrahenten in die Diskussion um die große Reform einbeziehen. Es wäre dumm, würden sich Ärzte, Pharmaunternehmen und Krankenhäuser dem Dialog widersetzen. Sie müssen nämlich ihren Ruf als geldschluckende Monster wieder wettmachen. Und das wiederum ist Andrea Fischers Vorteil. Annette Rogalla
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