Landflucht mit und ohne Ankunft

■ Wenig Nahrung, viel Blut und Salonrevolutionäre: Für „Jenseits von Duala“ erhielt Calixthe Beyala als erste Afrikanerin den Großen Roman-Preis der Académie Française

New-Bell fängt dort an, wo die Straße holprig wird. Die Barackensiedlung am Rand von Kameruns Hauptstadt Duala wird auch Kuskus genannt – ein liebevoll-verzweifelter Spitzname für einen Ort mit wenig Nahrung, viel Blut und jeder Menge Dreck. Geschäftigkeit wird gerne demonstriert, nur gibt es kaum etwas zu tun. Die Bewohner sind vom Land geflohen und in der Stadt nicht angekommen; sie schlagen sich mit Gelegenheitsarbeiten durch und überwachen ansonsten die Einhaltung von Sitte und Tradition.

In Calixthe Beyalas Roman Jenseits von Duala wird die zeitraubende Traditionspflege ausführlich geschildert. Schließlich haben Anstand und Moral für die Protagonistin Saida Bénérafa allergrößte Bedeutung: Weil sie als Muslimin geboren wurde, kann sie nur durch einen tugendhaften Lebenswandel Punkte sammeln. Als das „ledige junge Mädchen“ im Alter von ungefähr 40 Jahren nach Frankreich auswandert, ist ihr wichtigster Besitz daher ein zehn Jahre gültiges Jungfräulichkeitsattest des Apothekerdoktors.

In der Pariser Exilgemeinde verursacht das Papier einen Menschenauflauf – potentielle Ehemänner sind leider nicht darunter. Auch die Koranschule war wenig hilfreich: Saida verkriecht sich in einem Kost-und Logis-Job und lernt auf Betreiben ihrer Arbeitgeberin, der „Negerin-Prinzessin-und-Würdenträgerin“ Ngaremba, sogar lesen. Deren Kampf um die Befreiung des Heimatkontinents scheitert an der Schlappheit afrikanischer Salonrevolutionäre; nur Saida gelingt es, den Ballast ihrer Erziehung loszuwerden und trotzdem am Leben zu bleiben.

Die Geschichte ist keine Biographie, eine Hommage ist es sicher. Das Vorbild für die Hauptfigur war eine ehemalige Mitbewohnerin der Autorin. Sich selbst bezeichnet Calixthe Beyala als kämpferische Feministin. Auch sie stammt aus einem Armenviertel von Duala, verließ Afrika mit 17 Jahren und studierte in Paris und Malaga. Neun Romane hat die 37jährige bis heute veröffentlicht; für Jenseits von Duala erhielt sie als erste Afrikanerin den Großen Roman-Preis der Académie Française.

Beyalas politisches Engagement ist die Basis für dieses Buch. Gefüllt ist es mit zartbitterem Humor und ironisch vorgeführtem Fatalismus; jedenfalls solange es in Kuskus spielt. Im Pariser Teil wird dagegen die Ernüchterung im Exil auch stilistisch nachvollzogen. Der Kontrast unterstreicht den Graben, den Saida übersprungen hat – in ihrem Europa ist es nicht nur kalt, weil drei Tonnen Sonne fehlen.

Barbora Paluskova

Calixthe Beyala: „Jenseits von Duala“, Verlag Fretz & Wasmuth 1998, 349 Seiten, 44,90 Mark. Lesung: heute, 20 Uhr, Literaturhaus