: „Mehrfach mißbraucht“ worden
■ Prozeßauftakt im Fall Ulrike und „Nelly“ / Der angeklagte Ronny Rieken sagt aus, sein Vater habe ihn zum Analverkehr gezwungen
£Oldenburg. Mit erschütternden Details über die begangenen Verbrechen hat am Donnerstag vor dem Landgericht Oldenburg der Mordprozeß gegen Ronny Rieken (30) begonnen. Der dreifache Familienvater hat laut Anklage seine beiden Opfer Christina Nytsch (11) und Ulrike Everts (13) teilweise stundenlang gequält, vergewaltigt und aus Angst vor Entdeckung erdrosselt. Der vor möglichen Racheakten durch eine Panzerglasscheibe geschützte Rieken stellte sich selbst als Kind aus zerrütteten Verhältnissen dar. Er sei vom Vater oft verprügelt, mißbraucht und zum Analverkehr gezwungen worden.
Bei der Verlesung der Anklage stockte den Zuhörern zeitweise der Atem. Dagegen verfolgte der 30jährige das Geschehen äußerlich unbewegt. Der Staatsanwalt machte deutlich, daß sich die Kinder vergeblich gegen die Mißhandlungen wehrten. Er führte die Taten Riekens auf, der als 21jähriger außerdem eine 17 Jahre alte Verwandte vergewaltigt hatte und zu fünfeinhalb Jahren Haft verurteilt worden war.
Während eines Hafturlaubs mißbrauchte Rieken Ende 1992 eine achtjährige Verwandte. Die Tat wurde nicht angezeigt und Rieken wegen günstiger Sozialprognose vorzeitig entlassen. Drei Jahre später lauerte Rieken in Neuscharrel (Kreis Cloppenburg) einer Neunjährigen auf dem Schulweg auf, entführte sie mit dem Auto und mißbrauchte sie. Anschließend ließ er das Kind laufen. Dagegen kamen Ulrike Everts und Christina Nytsch nicht mit dem Leben davon.
Ulrike entführte der Sexualverbrecher im Sommer 1996, vergewaltigte die 13jährige mehrfach und erdrosselte sie schließlich. Überführt und gefaßt wurde Rieken nach dem Verbrechen an Christina Nytsch. Die Elfjährige entführte er im März dieses Jahres auf einer einsamen Straße bei Strücklingen, vergewaltigte sie und erdrosselte sie mit einem Kabel. Anschließend stach er noch mehrfach mit einem Messer auf die Leiche ein. In diesem Fall kam man Rieken mit einem Massenspeichel-Gentest auf die Spur. Im Anschluß an die Anklage sagte Rieken aus, er sei mehrfach von seinem Vater mißbraucht worden. „Er ist einmal morgens zu mir ins Bett gekommen und hat mich zum Analverkehr gezwungen.“ Damals sei er etwa sechs Jahre alt gewesen. Danach kam er mit blutiger Nachtwäsche in die Küche. „Meine Mutter sagte nur, ich soll mir was anderes anziehen.“ Mehrfach habe ihn der Vater auch in einer Scheune zum Oralverkehr gezwungen. Er habe nie über die Übergriffe berichtet. Zudem seien er und seine Schwestern oft vom Vater – einem häufig arbeitslosen, vorbestraften Maurer – verprügelt worden.
Der Vorsitzende Richter Rolf Otterbein äußerte Zweifel an der Aussage. Im Scheidungsurteil von Riekens Eltern im Jahr 1976 seien Übergriffe des Vaters auf die ältere Halbschwester und die jüngere Schwester Riekens dokumentiert. Von sexuellem Mißbrauch des Jungen sei aber nicht die Rede, sagte Otterbein.
Vor dem Landgerichtsgebäude verlangten etwa 80 bis 100 Demonstranten mehr Opferschutz. Ihre Transparente trugen unter anderem folgende Aufschriften: „Täterschutz schafft Opfer“, „Wer schweigt, hilft Tätern“, „Wir wollen helfen – keine Gewalt mehr an Kindern“. Vor Prozeßbeginn hatte Christinas Vater Manfred Nytsch indirekt die Justiz kritisiert: „Dieser Prozeß wäre nicht nötig, wenn man Rieken richtig behandelt hätte. Die beiden Mädel könnten noch leben, und Rieken hätte nicht zum Mörder werden müssen.“ dpa
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