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Nicht nur Coming-out-Geschichten

■ Größer, länger, bunter als bisher: Heute beginnen die 6. Lesbisch-Schwulen Filmtage

160 Filme in zehn Tagen in drei Kinos. Das Programm der 6. Lesbisch-Schwulen Filmtage Hamburg mutet gigantomanisch an. Aber „es ist den Versuch wert“, meint Ludger Wedding, einer der zehn Organisatorinnen und Organisatoren des Veranstalters Querbild e.V. „Es wird sich zeigen, ob ein so großes Filmfest in einer schwul-lesbischen Metropole wie Hamburg ankommt.“

Heute beginnt der sechste Durchlauf des längst arrivierten Filmfestivals. In diesem Jahr hofft Querbild auf mindestens 6000 Gäste. Im übrigen seien, so Ludger Wedding, der Festivalleitung so viele gute Filme untergekommen, daß sie das Angebot nicht künstlich habe beschränken wollen. Die Lesbisch-Schwulen Filmtage wollen mit den lesbischwulen Kinofesten in San Francisco und London mithalten; was ihnen jedoch dazu vor allem fehlt, sind die Sponsoren. Keinen einzigen privaten Geldgeber haben die Querbild-Leute in diesem Jahr gefunden – „da sind die Ressentiments immer noch zu groß“, vermutet Wedding. Zudem habe sich die Kulturbehörde lediglich zu einer Spende von 30.000 Mark hinreißen lassen können. Dabei warten die Filmtage mit Deutschland-, Europa- und Weltpremieren auf, es werden Filme aus Japan, Kasachstan, Tschechien und Kuba gezeigt, und die Jury, die am Ende des Festivals die „Ursula“ für die besten Kurzfilme vergeben wird, ist international besetzt.

Neben den Kurzfilmen werden dieses Mal auch einige vielversprechende „Langfilme“ zu sehen sein: Skin Deep von Midi Onodera zum Beispiel, ein professioneller Streifen über die erfolgreiche Regisseurin Alex, die mit der sensibel-verliebten Chris einen Film über Tattoos drehen will. „Atemberaubend, intelligent und extravagant“, wie Ludger sagt, ist auch Marble Ass von Zelimir Zilnik aus Belgrad, eine „großartige Parabel über Männlichkeitsmythen“. Einen Überblick übers Programm erhält man jedoch noch am ehesten anhand des DIN-A5-Heftchens, das überall ausliegt.

„Lesbisch oder schwul sind keine Qualitätsmerkmale an sich mehr“, beantwortet Dorothée von Diepenbroick, ebenfalls von der Festvalleitung, die Frage nach der Filmauswahl. Ihr Augenmerk richte sich vor allem auf die „Randgruppen in der Randgruppe“-Themen und auf Filme, die nicht nur die alte Coming-out-Geschichte erzählen, sondern die Kompliziertheit der Geschlechtsidentitäten zeigen, so etwa der Kurzfilm Dinner at Bubby's von Ziad Touma über das Problem eines jungen Juden, der seiner Familie seine leider nichtjüdische große Liebe vorstellen will. Übrigens wird in sehr vielen Filmen untertitelfrei Englisch genuschelt – es empfiehlt sich, vorher noch einmal Vokabeln zu üben.

Theoretische Kategorien würden bei der Auswahlarbeit nicht angelegt, meint Ludger, „das ist Gefühlssache“. Dorothée erläutert: „Homosexuelle haben eine eigene Weltsicht, einen besonderen Zugang zu den Dingen, der sich der hetero-sexistischen Norm versperrt. Mit dem Festival wollen wir einen Raum dafür schaffen und die Bandbreite der Variationen aufzeigen, in denen Homosexuelle zu denken gezwungen sind. Die Neugierde und Offenheit, die Homosexuelle haben müssen, spiegelt sich darin, daß filmische Innovationen und avantgardistische Ideen häufig aus ihrer Ecke kommen.“

Berührungsängste mit Hollywood habe man nicht, Mainstream-Kino sei ja nicht grundsätzlich schlecht. „Es ist nichts Schlimmes, wenn sich viele Leute einen lesbischen Liebesfilm ansehen wollen“, sagt Dorothée, „bloß so ein Film wie When Night Is Falling, der kürzlich in den Kinos war, geht daneben: Die Lesben können mit so wenig Handlung nicht mehr abgespeist werden, und auch für ein normales Publikum ist die Geschichte zu konventionell.“

Sie selbst wolle sich auch gar nicht in die Subkultur-Nische abdrängen lassen. Vielen Filmemacherinnen und Filmemachern, gerade solchen, die sich auf dem Weg nach Hollywood befänden, sei der schwul-lesbische Rahmen mittlerweile schon längst zu eng. Chantal Akerman zum Beispiel, die mit Jeanne Dielman ihren Lieblingsfilm des Festivals gedreht habe, wolle auch über andere Eigenschaften als ihr Lesbischsein identifiziert werden.

„Ich habe mit einem heterosexuellen Filmschaffenden mehr zu tun als mit einem homosexuellen Neonazi“, so auch Ludger, „aber wenn in einem Film ein schwuler Neonazi auftaucht, der mit dem Blick der nicht geschlossenen Identität, den ich ja auch teile, porträtiert wird, würde ich den Film für die Filmtage auswählen.“ Das Mainstream-Kino, meint Dorothée, „entdeckt gerade die Homosexualität als solche und dreht daraus Komödien, aber auf den Filmtagen ist das wichtig, was darüber hinausgeht“.

Ulrike Winkelmann

19. bis 29. 10., im Metropolis, 3001-Kino und Alabama. Eröffnungsparty in der Roten Flora, Abschlußparty im Schmidts Tivoli. VVK im Metropolis, Tel. 34 23 53 oder 34 80 670.

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