■ Kommentar: Symbolische Ohrfeige
Am liebsten hätte sich das Schweriner Verwaltungsgericht mit den Vorfällen in Bad Doberan zunächst gar nicht beschäftigt. Schließlich liegt die Geschichte schon drei Jahre zurück – und damals war im Osten eben noch manches anders.
Auch gestern warb Verwaltungsgerichts-Präsident Hobbeling um Verständnis: Die „Ossis“ seien mit solchen Ereignissen überfordert gewesen, schließlich habe sich die Polizei noch im Wende-Umbruch befunden. Und nach dem Brandanschlag auf das Vietnamesen-Wohnheim im Rostocker Stadtteil Lichtenhagen – Anlaß der Demo – habe man vielleicht den Bogen gegen die Antifaschisten ein wenig überspannt.
Doch letztlich erkannte das Gericht die grundsätzliche Bedeutung dieses Rechtsstreits – immerhin waren die Verantwortlichen allesamt „Wessis“, die ja seit fünf Jahren das Ruder in der Polizeiflotte übernommen haben. Es gelte daher grundsätzlich, der westlichen Vorgehensweise – wo Angriffe auf das Demonstrationsrecht eine unschöne Tradition haben – Einheit zu gebieten.
Deshalb ist das gestrige Verfahren ein wichtiger Markstein für das Bemühen, westliches Handeln nicht automatisch zu übernehmen. Zugleich ist es eine symbolische Ohrfeige für die „Wessi“-Einsatzführer.
Vielleicht, vielleicht – mensch wird ja noch hoffen dürfen – nach all den zahlreichen verlorenen Prozessen tritt nach dieser erneuten Niederlage auch bei Hamburgs Polizeiführern endlich ein Lerneffekt ein: Den dummerhaftigen Prognosen des Staatsschutzes, der allüberall RAF-Umfelder ausgemacht haben will – nicht mehr bedingungslos zu glauben.
Kai von Appen
Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen
Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen