Gott war hier

■ Tusch: „pro art“, die Galerieinitiative im Neustädter Bahnhof feiert an diesem Samstag die 100. Ausstellung

Eine Initiative, kurz Ini, über die Zeiten zu retten, fordert strategisches Geschick. Immer dann, wenn die Vereinsmitglieder nicht mehr regelmäßig zu den Treffen erscheinen, wenn sie eine Verstauchung des Zehs vorschieben oder einfach ganz offen lieber zum Squashschlägern gehen, ist eine Veränderung unausweichlich. Jochen Bieber, Gründungsmitglied des „pro art e.V.“, ist ein Virtuose der kleinen Neuanfänge. Die Geschichte einer erfolgreichen Durchhaltetaktik begann im April 1989 im Cafe Paganini in der Erlenstraße. Am Anfang war das Wort. Das ging so: „Dart kann doch nicht alles sein.“ Auf der Basis dieser Erleuchtung veranstalteten die versammelten Dartfreunde Lesungen und Ausstellungen unter dem Motto „Darts und Arts“. Aber auch an anderen Orten im Bremer Süden erblühten zarte, kleine Inis. Da gab es die Galerie InKatt in Kattenesch, die Katzengalerie im Keller des Reihenhauses der Heidemarie Vogt, das Cafe Knoops Park und „Kultur im Treppenhaus“ im Gewerkschaftshaus Osnabrück.

Die schlossen sich zusammen, um gegenüber den Behörden mehr Durchsetzungskraft zu gewinnen. Der im Februar 1990 geborene „pro art e.V.“, konnte der Stadt in der Tat fürderhin zwischen einer und vier ABM- oder BSHG 19-Stellen abluchsen. Geld gab es nicht.

Die erste eigene Bleibe, 120 qm Ausstellungsfläche in einem alten Wasserwerk in Peterswerder, wurde im Februar 1991 bezogen. Die 1000 Mark Miete rekrutierten sich aus den Beiträgen der Mitglieder. Denn der Kultursenator signalisierte in diesen Anfangszeiten der Rezession, daß neue Initiativen nicht mehr unterstüzt werden können. Als die Spendenwilligkeit der Mitglieder erschöpft war, fand wenigstens das Büro von „pro art“ Anfang 1994 Unterschlupf bei einer Künstlergruppe im Neustädter Bahnhof. Die löste sich Mitte des nächsten Jahres auf, und „pro art“ deklarierte deren Atelier zum Ausstellungsraum um – „wie es das Glück so will“, meint Jochen Bieber. Früher einmal lagerten hier Panzerschränke. Heute ist „pro art“ eingezwängt zwischen Weinladen und Weindepot. Die erste Etage bewohnen ein paar Bahnangestellte. Der in den 20er Jahren errichtete schnörkellose Backsteinbahnhof machte schon in den 70er Jahren dicht. Jetzt ist nur noch der unkrautverwuchert-verwunschene Bahnsteig in Betrieb für vereinzelte Seelen, die der Nahverkehr nach Oldenburg hier ausspuckt.

Der Ausstellungsraum beeindruckt durch seine Höhe, eine serielle Reihe schmaler, hoher Fenster, durch eine nüchterne, vom Zahn der Zeit angenagte Holzkassettendecke und Eiseskälte. Diese Unbeheizbarkeit ist ein Dauerstreitpunkt zwischen Bahn und Verein. Mit klammen Fingern erfriert verständlicherweise jedwede Lust zu Mietzahlungen. Aufgrund der Umstrukturierung der Bahn fühlte sich mal der Bezirksbereich Hannover, mal Hamburg oder Oldenburg notorisch nichtzuständig. Jetzt ist man endlich fest unter der Haube bei Hannover. Durch die engagierte Unterstützung des Ortsamts Neustadt und des Senators für Arbeit signalisiert die Bahn AG endlich Bereitschaft zum Umbau. Für circa 150.000 Mark wird vermutlich eine zweite Ausstellungsebene eingezogen, ein Cafè eingerichtet und die Trennwand zum Bahnsteigdurchgang durch Glas ersetzt. Schließlich hielten gar manche Kunstliebhaber den graffitiüberwachsenen Durchgang schon immer für Bremens zauberhaftestes öffentliches Kunstwerk. Und manchmal riecht eine kleine Pißlacheninstallation dezent.

Jochen Bieber hat eine Ausbildung zum Lehrer. Doch ist er „irgendwie in die Kunstschiene reingerutscht.“ Nach einem Praktikum bei der GAK „wurde es immer interessanter, doch gleichzeitig gab es immer weniger öffentliche Gelder“: Keynesianische Antizyklik. Seit zwei Jahren erledigt Reinhard Richter, im Hauptberuf Altenheimleiter, die Managementarbeit des Vereins. Da viele Mitglieder eher aus sozialen als aus künstlerischen Kontexten herkommen, muß man sich dem herrschenden Kunstkanon nicht verpflichtet fühlen.

Die „100 Meisterwerke“, die nun zwei Monate lang die Geschichte des Vereins dokumentieren, sind im Schnitt gefälliger als das, was in der Weserburg hängt. Satte Farben explodieren feuerwerksgleich. Rosa Inseln schwimmen in abstraktem, hellblauen Meer. Eine Junge führt einen blinden Alten an der Hand. Blumen verschwinden in der Dämmerung. Ein Flugzeug donnert über dem geschmerzten Gesicht einer Serengetibewohnerin. Die Bilder wollen den Betrachter rühren - und schämen sich dafür keineswegs. Hier finden Arbeiten ihren Platz, die selbstbewußt jenseits des Zeitgeistes glühen. Auf der Speerspitze der Avantgarde drängen sich die Künstler sowieso schon eng genug.

Viele Gemeinschaftsarbeiten gab es hier. Einmal wurde ein Merkspruch Friedrich Hebbels über Kommunikationsprobleme von Dutzenden von Künstlern und Kindern auf eine Wand appliziert (pro Buchstabe ein Mensch) - und so widerlegt.

Und sogar Gott zeigte sich. Das war innerhalb des Großprojekts „Do all Oceans have Walls“. Gott stahlte warm aus Styroporplatten hervor. Barbara Kern

Eröffnung: 14.11., 20.30h mit dem Gesangsensemble „Vokal Orangsch“