: Kollegenschelte für Berliner Polizei
■ Bundesvorsitzender der Polizeigewerkschaft: Berliner Kollegen wenden zu schnell Gewalt an. Landesverband weist Kritik zurück. SPD fordert von Innensenator Werthebach Rückkehr zur Deeskalation: "Polizei
Im Zuge des Regierungsumzugs von Bonn nach Berlin rückt auch die Berliner Innenpolitik ins bundespolitische Visier. Der Bundesvorsitzende der Gewerkschaft der Polizei (GdP), Norbert Spinrath, hat die Berliner Polizeiführung gestern aufgefordert, über ihre Strategie für Demonstrationen neu nachzudenken. Derzeit gebe es „eklatante Unterschiede“ zwischen Bonn und Berlin. Nordrhein-Westfalen habe die Deeskalationsstrategie, in Berlin gehe man anders vor. „Im Vergleich mit der Bonner Polizei wartet die Berliner Polizei nicht so lange, bevor sie bei Demonstrationen Gewalt anwendet“, sagte Spinrath. Zwar handelten die Berliner selbstverständlich im Rahmen des geltenden Rechts, ihr Vorgehen bei den Krawallen am 1. Mai sei angemessen. Veränderungen seien aber nötig.
„Berlin ist nicht nur Kreuzberg“, so Spinrath. Er habe das Gefühl, daß die Verhältnisse in Kreuzberg auf ganz Berlin übertragen würden. Er habe sich sehr unwohl gefühlt, als er in Seitenstraßen des Kurfürstendamms Mannschaftswagen mit Beamten in Kampfanzügen gesehen habe.
Der Landesverband der GdP reagierte sehr verärgert auf die Äußerungen Spinraths. Als „völligen Quatsch“ bezeichnete Geschäftsführer Klaus Eisenreich die Kritik, Spinrath solle sich nicht „in Berliner Verhältnisse einmischen, davon hat er keine Ahnung“. Die Deeskalation werde in Berlin praktiziert. Die Kritik am Einsatz Berliner Polizisten beim Castor- Transport im nordrhein-westfälischen Ahaus habe sich in Luft aufgelöst.
Die SPD dagegen hält die Vorwürfe ganz und gar nicht für unbegründet. „Daß Berlin noch nicht so ganz hauptstadtfähig ist, ist ganz richtig“, sagte gestern der innenpolitische Sprecher der SPD, Hans- Georg Lorenz, „man kann verstehen, daß den Bonnern da manchmal gruselig wird“. Aus Angst davor, daß eine Demonstration auch einmal entgleiten könnte, marschiere die Berliner Polizei stets „in Bataillonsstärke“ auf, statt auf Aufklärung zu setzen. Zwar gebe es auch in der Polizeiführung ausreichend kluge Köpfe, auch habe die SPD der Polizei wiederholt politische Rückendeckung für eine deeskalierende Strategie angeboten, „aber trotzdem setzt man auf Machtdemonstrationen“.
Das Problem sei, daß „die CDU von diesem Wort Deeskalation nichts hören will“. An den neuen Innensenator Eckart Werthebach (CDU) richtete Lorenz deshalb „die sehr ernste Bitte, sich wieder zur Deeskalation zu bekennen“. Werthebach selbst war gestern zu einer Stellungnahme nicht zu erreichen, Spinrath indes hat bereits einen Termin mit ihm vereinbart, um derlei Fragen zu besprechen. Barbara Junge, Jutta Wagemann
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