Press-Schlag: Schweinische Rache
■ Maskottchen-Skandal in Englands Fußball weist völlig neue (un)sportliche Wege
Seit in wichtigen Spielen bei Fußballweltmeisterschaften nicht mehr nur uruguayische oder argentinische Unholde vom Platz gestellt werden, sondern auch kreuzbrave deutsche Grätscher, seit sogar die Eishockeyliga NHL, traditionelle Brutstätte unvollständiger Zahnreihen und handfester Gehirnerschütterungen, ihre Regeln verschärft hat, ist es nicht mehr von der Hand zu weisen: Der Rohheit im Sport geht es an den Kragen. Die Zeit, als an einem Jürgen Kohler nur vorbeikam, wer gravierende Gesundheitsschädigungen billigend in Kauf nahm, ist vorüber. Zumindest in jenen Profisportarten, wo die Gesundheit der Stars inzwischen so wertvoll geworden ist, daß selbst schläfrige Verbände wie Fifa oder Uefa aufwachten und Maßnahmen ergriffen.
Nur logisch, daß sich unter solchen Umständen andere Beteiligte, die bisher eher als Randfiguren fungierten, bemüßigt fühlen, eine neue Rolle bei der Bekämpfung des sportlichen Gegners in jedweder Inkarnation zu übernehmen. Vor wenigen Wochen gingen bei einem College-Footballmatch in den USA zwei Blaskapellen aufeinander los, wuchteten sich Tuba wie Basstrommel gegenseitig aufs Haupt und praktizierten bei der feindlichen Musikantenschar erfolgreich Tacklings und Bodychecks, von denen ihre Teams auf dem Spielfeld nur träumen konnten.
Eine andere Unterstützergruppe trat beim Fußballmatch zwischen Bristol City und den Wolverhampton Wanderers in der ersten englischen Division auf den Plan: die Maskottchen. Zunächst harmlos scheinende Neckereien in der Halbzeitpause eskalierten rapide, als der große böse Wolf der Wolves den Glücksbringern des Gastgebers Bristol, pikanterweise drei kleine Schweinchen, unaufhörlich den Spielstand – Wolverhampton gewann 6:1 – unter die Rüssel rieb. Die kleinen Burschen gingen couragiert zum Gegenangriff über. „Die Sache geriet außer Kontrolle“, berichtet ein Augenzeuge, „als eines der Schweinchen Wolfie ein paar scheuerte.“ Der solchermaßen malträtierte Gast fühlte sich in seiner Wolfsehre getroffen „und erwischte ein Schwein mit einem linken Haken“, wie der neutrale Beobachter erzählt. Allerdings hatte Wolfie nicht mit der Maskottchendichte in Bristol gerechnet. „Das war der Moment, als City Cat angestürmt kam“, so City- Fan David Singleton. Die Sache war entschieden.
In anderen Ländern beschränken sich die lebenden Talismane nicht auf das Vermöbeln der werten Kollegenschaft, sondern schrecken auch vor direkten Eingriffen ins Sportgeschehen keineswegs zurück. Berüchtigt der Motorradbär des NBA-Teams Utah Jazz, welcher bei Auszeiten mit dem Geknatter seiner Harley Davidson die Worte des Gäste-Coaches übertönt, gefürchtet das militante Maskottchen von Olympiakos Piräus, das gegnerischen Basketballern gern ein Bein stellt.
Solches Engagement könnte auch hiesigen Sportteams, die im Moment nicht auf Rosen gebettet sind, wertvolle Anregungen liefern. Warum sollten sich Cheerleader wie jene von Hansa Rostock damit begnügen, die ganze Zeit sinnlos frierend herumzuhupfen? Ein paar Schlagringe, und die Unterstützung könnte weit effektiver ausfallen. Alba Berlins Europaligasaison verliefe sicher erfolgreicher, würde man den vereinseigenen Albatros mit einem ausreichend langen Lasso ausstatten, und beim 1. FC Köln ist überhaupt nicht einzusehen, warum Geißbock Hennes derart nutzlos hinter dem Tor angepflockt bleibt.
Borussia Mönchengladbach wiederum könnte sich problemlos eine kleine Schafherde anschaffen, die im Bedarfsfall – etwa, wenn das 1:5 fällt – aufs Feld getrieben wird, auch wenn es dann vielleicht schwierig wäre, sie von der Mannschaft zu unterscheiden. Und der VfB Stuttgart hätte sein Ausscheiden im Uefa-Cup leicht verhindern können, wenn er seinen Stofflöwen rechtzeitig durch einen echten ersetzt hätte. Oder wenigstens Mayer-Vorfelder ins Kostüm gesteckt. Damit hätte man auch gleich zwei Fliegen mit einer Klappe geschlagen. Der Mann braucht schließlich ein Amt.
Die Möglichkeiten sind schier unbegrenzt. Der VfL Wolfsburg könnte gegen eine geringe Gebühr Wolverhamptons schlagkräftigen Wolf ausleihen, am Betzenberg würde sich eine amerikanische College-Blaskapelle bestens einfügen, und auch bei den Münchner Bayern braucht man nicht lange zu überlegen: Uli Hoeneß, Fritz Scherer und Gerd Müller als drei kleine Schweinchen wären absolut europaligareif. Nur bei 1860 darf alles bleiben, wie es ist. Werner Lorant reicht vollkommen. Matti Lieske
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