: Lafontaine als Hüter der Gerechtigkeit
Bundestag stritt über die Steuerreform. CDU: Die Wirtschaft wird stärker belastet. Lafontaine: „Das Steuerrecht ist immer eine Umverteilung. Die Frage ist nur, wem gegeben und wem genommen wird“ ■ Aus Bonn Markus Franz
Bundesfinanzminister Oskar Lafontaine hat gestern in der Bundestagsdebatte über die rot-grüne Steuerreform der großen Mehrheit der Bevölkerung steuerliche Entlastung zugesichert. Die Steuerreform sei arbeitnehmer- und familienfreundlich. Die erste Stufe der Reform, über die in erster Lesung beraten wurde, tritt am 1. Januar 1999 in Kraft. Der Eingangssteuersatz wird von 25,9 auf 23,9 Prozent gesenkt, das Kindergeld um 30 Mark auf 250 Mark erhöht.
Der konzeptionelle Ansatz der Steuerreform bestehe darin, daß sie Steuergerechtigkeit herstelle, um angenommen zu werden, sagte Lafontaine. Der Zusammenhalt der Gesellschaft werde gestärkt, wenn die Leute glaubten, es gehe gerecht zu. Den von Union und FDP erhobenen Vorwurf der Umverteilung bezeichnete er als „ganz und gar spaßig“. Das Steuerrecht sei immer eine Umverteilung. Die Frage sei nur, wem gegeben und wem genommen werde. „Ihre Umverteilung von unten nach oben haben wir rückgängig gemacht“, rief der Finanzminister Union und FDP zu.
Zu den Vorwürfen der Opposition, die Steuerentlastung falle zu niedrig aus, sagte Lafontaine, die Regierung würde gern die Steuern senken, sehe sich dazu angesichts der Haushaltslöcher aber nicht in der Lage. Wer niedrigere Steuereinnahmen fordere, müsse auch sagen, daß dann weniger Geld für Infrastrukturleistungen übrig sei. Die Folge seien schlechtere Ausbildung, schlechtere Straßen, weniger Kindergartenplätze.
Der Finanzexperte der Union, Friedrich Merz, erwiderte, die neue Regierung finde im Haushalt den Spielraum für eine durchgreifende Steuerreform vor. Dies werde durch die jüngste Steuerschätzung bestätigt. Die Einnahmen würden im laufenden Jahr um 7,5 Milliarden Mark höher sein als im Mai geschätzt. Im kommenden Jahr würden sie um 38 Milliarden Mark über denen des laufenden Haushaltsjahres liegen.
Merz warf der Regierung vor, daß die Wirtschaft in den kommenden drei Jahren steuerlich höher belastet werde als bisher. Diese Äußerung führte bei der SPD zu tumultartigen Szenen. Die Finanzexperten der SPD, Ingrid Matthäus-Maier und Joachim Poß, forderten Merz auf, zuzugeben, daß die SPD bereits 1999 die Körperschaftssteuer (betrifft Aktiengesellschaften und GmbH) von 45 auf 40 Prozent senken wolle. Merz beharrte darauf, daß die Unternehmen in Anbetracht des Abbaus von Abschreibungsmöglichkeiten und Steuerschlupflöchern unter dem Strich mehr belastet würden.
Das bestritten die Redner der SPD nicht.
Die SPD plant allerdings, spätestens bis zum Jahr 2002 alle Unternehmenssteuern auf 35 Prozent zu reduzieren. Bereits zum 1. Januar 1999 wird der Spitzensteuersatz für gewerbliche Einkünfte von 47 auf 43 Prozent gesenkt. Davon profitieren vor allem diejenigen Betriebe, die keine Nachteile durch die Streichung der Steuerschlupflöcher haben, weil sie davon ohnehin keinen Gebrauch machen können. Die finanzpolitische Sprecherin der Grünen, Christine Scheel, kündigte an, daß sich die Grünen dafür einsetzen würden, die Körperschaftssteuer schon im Jahr 2000 auf 35 Prozent zu senken. Sie verteidigte das Gesetzeswerk als „größte Steuerreform, die jemals in der Geschichte der Bundesrepublik, zumal in derart affenartiger Geschwindigkeit“, vorgelegt worden sei.
Merz griff Lafontaine wegen seiner Forderung an die Bundesbank nach einer Zinssenkung an. „Als erstes Ergebnis ihrer Bundesbankpolitik erleben wir einen massiven Vertrauensschwund in den Euro“, so Merz. Eine Studie im Auftrag des Handelsblattes hatte ergeben, daß sich die Zustimmung zum Euro in diesem Monat von 43 auf 40 Prozent der Bevölkerung verringert hatte.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen