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Ein Modell mit Risiken

■ Die SPD hat keine Strategie gegenüber einer realpolitisch geläuterten PDS. Das könnte fatale Folgen für sie haben

Die Bundestagswahlen haben der SPD in Ostdeutschland scheinbar herrliche Zeiten beschert. Sie ist dort die stärkste Partei. Die rot- rote Koalition von Mecklenburg- Vorpommern ist, auch wenn sich viele Sozialdemokraten noch zieren, ein Modell für den Osten. Im dortigen Dreiparteiensystem, zwischen der realpolitisch eingebundenen PDS und der schwächelnden CDU, will sich die SPD als stärkste politische Kraft dauerhaft einrichten. Und selbst für den Bund spekulieren sozialdemokratische Strategen mit Blick auf die PDS-Fraktion längst mit der fünfprozentigen Machtreserve.

Doch eine tragfähige Strategie zum Umgang mit der linken Konkurrenz hat die SPD nicht. Das könnte fatale Folgen haben. In Mecklenburg-Vorpommern ließ die Partei ihren Vorkämpfer Harald Ringstorff ziemlich allein. Die Bonner SPD-Zentrale gab ihm zwar freie Hand, aber wenig öffentliche Schützenhilfe. In der Baracke möchte niemand für das mögliche Scheitern des Referenzmodells den Kopf hinhalten müssen. Im Westen lehnt eine Mehrheit der Sozialdemokraten jede Zusammenarbeit mit der PDS ab, im Osten eine starke Minderheit. Ein Riß geht quer durch die Partei, eine offene Diskussion über Chancen, Risiken und Grenzen des rot- roten Bündnisses findet nicht statt.

Dementsprechend widersprüchlich sind die Signale. So wird die PDS im Osten gar nicht mehr oder nur noch lustlos vom Verfassungsschutz beobachtet. Im Westen hingegen erneuerten jetzt selbst sozialdemokratische Verfassungsschützer ihre Warnungen vor den Verfassungsfeinden. In Mecklenburg-Vorpommern vereinbarten SPD und PDS symbolträchtig, aber praxisuntauglich das Ende der Regelanfrage bei der Gauck- Behörde für den öffentlichen Dienst. Hinter den Kulissen jedoch wurden sogleich Ausnahmen festgelegt. Immerhin wollen sich die dortigen PDS-Landtagsabgeordneten freiwillig gaucken lassen. In Sachsen-Anhalt hingegen schafften SPD und PDS den zuständigen Sonderausschuß gemeinsam ab. In Brandenburg ließen die Sozis die von der PDS vorgeschlagene Schriftstellerin Daniela Dahn bei der Wahl zur Landesverfassungsrichterin durchfallen. Dabei hatte SPD-Landeschef Steffen Reiche zuvor noch bedauert, diese nicht selbst benannt zu haben. Politische Führung ist da nicht zu erkennen. Scheinbar hat sich die Bonner SPD-Spitze damit abgefunden, den Osten nicht zu verstehen, und ihm daher Narrenfreiheit gewährt. Dabei sucht die SPD bereits seit neun Jahren nach der richtigen Strategie gegenüber der PDS. Nachdem die DDR-SPD den SED-Reformflügel im Winter 89/90 vorschnell abgewiesen hatte, wurde die PDS zunächst tabuisiert. Schließlich bemühte man sich darum, die PDS-Wähler mit politischen Zugeständnissen abzuwerben. Vergeblich, bei jeder Wahl seit 1990 konnte die PDS im Osten zulegen, am 27. September noch einmal etwa 350.000 Stimmen. Dabei versicherten Wahlforscher nach jeder Wahl, die Partei habe ihre Wählerreservoir nun wirklich ausgeschöpft. Inzwischen wählt jeder fünfte Ostdeutsche PDS.

Jetzt soll die PDS entzaubert werden. Immer noch halten viele Sozialdemokraten die PDS für eine Übergangserscheinung. In den ostdeutschen Kommunen zumindest haben PDS-Bürgermeister die Wähler jedoch nicht verprellt. Was ist, wenn auch die sozialistischen Landesminister ihre Sache nicht schlechter machen als die sozialdemokratischen?

In Mecklenburg-Vorpommern erklärte die SPD die Finanzen zum Knackpunkt der Koalitionsverhandlungen. Sie zwang die PDS zur Haushaltsdisziplin. Die PDS wiederum rang der SPD ein paar Millionen für ihr Lieblingsprojekt ab, den „öffentlich geförderten Beschäftigungssektor“, der nichts anderes ist als ein durch neue Aufgaben aufgeblähter öffentlicher Dienst. Ähnliches wiederholt sich jetzt in Sachsen-Anhalt. Dort versucht die SPD-Minderheitsregierung ihren Tolerierungspartner PDS dazu zu zwingen, der drastischen Kürzung der Landesmittel für die Arbeitsförderung zuzustimmen. Die PDS jedoch ließ mit Hilfe der Gewerkschaften und Wohlfahrtsverbände, in denen sie im Osten anders als die SPD tief verankert ist, die ABM-Beschäftigten vor dem Landtag aufmarschieren. Von soviel Empörung verschreckt stellte die Landesregierung noch mal zusätzliche 50 Millionen Mark bereit. Wieder steht die PDS als Wohltäterin da und die SPD als harte Haushaltssaniererin. Wenn die SPD der PDS im Osten so die Rolle des sozialen Korrektivs überläßt, könnte sie viele ihrer dortigen Wähler wieder verlieren. Zumal, wenn in Bonn die erhofften schnellen rot-grünen Erfolge bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit ausbleiben. Arbeit und soziale Gerechtigkeit sind schließlich die wichtigsten gesellschaftlichen Werte der Ostdeutschen.

Und so zeigt sich, wie labil der politische Höhenflug der SPD im Osten tatsächlich ist. Ihren Wahlsieg, der mit 36 Prozent dort so glorreich ja nun auch nicht ausgefallen ist, verdankt sie dort vor allem der Anti-Kohl-Stimmung und der Hoffnung auf dauerhafte Arbeitsplätze. Feste Wählerbindungen haben sich im Osten nicht herausgebildet, jeder zweite ist dort ein Wechselwähler. Nur die PDS ist in ihren Milieus fest verankert. Sie hat dort die viermal stärkere Parteibasis und nicht selten auch die kompetenteren Fachpolitiker.

Will die SPD eine ostdeutsche Volkspartei werden, muß sie die ostdeutsche Regionalpartei PDS in allen Ländern und Politikfeldern einbinden. Sie muß gleichzeitig bei der Bekämpfung der Arbeitslosigkeit selbst erfolgreich unkonventionelle Wege gehen. Und sie muß mit den SED-Nachfolgern klare Spielregeln im Umgang mit dem DDR-Unrecht vereinbaren. Nur so kann sie auch die PDS-Gegner in den eigenen Reihen bei der Stange halten.

Die PDS allerdings wird nicht so schnell verschwinden, wie es sich die Sozialdemokraten erhoffen. Sie wird sich im Gegenteil – realpolitisch eingebunden – weiter stabilisieren. Da sie aber den Kultursprung in den Westen kaum schaffen wird, könnte es bald dazu kommen, daß im Osten zwei sozialdemokratische Parteien miteinander konkurrieren. Die eine mit westdeutscher Dominanz, moralischem Rigorismus und nüchternem Pragmatismus – die andere mit undemokratischer Vergangenheit, traditionellen Politikkonzepten, aber auch mit umstrittenen Visionen. Ob es den Sozialdemokraten paßt oder nicht, eine realpolitische PDS wird gegenüber der SPD im Osten letztlich eine ähnliche Rolle einnehmen wie die CSU gegenüber der CDU, auch ohne daß das Wahlgebiet nun förmlich aufgeteilt würde. Christoph Seils

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