: Nicht nur märchenhaft
Die Existenzgründernöte einer Brezel-Genossenschaft ■ Von Gernot Knödler
„Hänsel und Brezel“ sind selbständig. Nicht dick aber wohlgenährt, haben sie ihren Weg durch den finsteren Wald des Kapitalismus gefunden. Heute haben sie ein Büro in der Existenzgründer-„Etage 21“ im ehemaligen Schlachthof am neuen Kamp. Die Karriere der Jungunternehmer begann vor Konzertsälen und Theaterfoyers. Als gutgelaunte junge Menschen standen sie in den Pausen vor der Tür und boten einen Korb voller Laugengebäck feil. Die ersten einsamen Verkäufer bekamen Kollegen; zu ihnen stießen Lieferfahrer und schließlich wurden die Brezeln nicht mehr zu Hause im Herd gebacken, sondern in einer eigenen Backstube. Heute arbeiten ein gutes Dutzend Verkäufer, fünf Bäcker, drei Bürokräfte und vier oder fünf Lieferfahrer für „Hänsel und Brezel“.
Der Start wäre leichter gewesen, hätten die Gründer bessere Informationen gehabt: „Wir wußten nicht, daß wir als Unternehmensgründer eine Unterstützung kriegen konnten“, erzählt Brezel-Verkäufer Aldo Harms. Darauf habe sie schlicht niemand hingewiesen. Vermeidbar wäre auch der langfristige teure Mietvertrag für das erste Büro gewesen, ergänzt Gerald Hoppe, der für die Verwaltung zuständig ist. Nur mit Glück konnten die Jungunternehmer vorzeitig aus dem bis 2002 terminierten Vertrag aussteigen. „Das sind Sachen, die man nicht unbedingt bedenkt, wenn man eine Firma gründet“, sagt Hoppe.
Dann die Gründung an sich: GmbH oder einfach ein formloser Zusammenschluß? Wer soll das Sagen haben? Wem soll der Laden gehören? Schließlich die Idee mit der Genossenschaft: Zwanzig Leute mußten überzeugt werden, eine Einlage von mindestens 1000 Mark zu bezahlen. Dabei arbeiten die Verkäufer noch heute als selbständige Subunternehmer. Fachkundiger Rat hätte die schwierige Geburt leichter gemacht, glaubt Harms.
Die Genossenschaft jedenfalls scheint sich als gute Lösung erwiesen zu haben. Die notwendige Mitgliedschaft in einem Genossenschaftsverband, der die Geschäftsführung von „Hänsel und Brezel“ regelmäßig prüft, brachte eine sachkundige Beratung mit sich, wie sie den einzelnen Verkäufern zunächst einmal fehlte. „Ich habe am Anfang viel falsch gemacht“, erzählt Brezelverkäufer Harms, „habe zuviele Steuern bezahlt, weil ich nicht wußte, was ich alles absetzen kann“. Inzwischen tauschen die Verkäufer untereinander ihr Know How aus.
Neben dem Problem, gesicherte Informationen zu erhalten, stand für die Genossen die Schwierigkeit, an alle Fährnisse und Möglichkeiten zu denken: Ein harter Schlag für die Brezelhändler war zum Beispiel, daß ihnen jemand die Scheibe der Backstube einwarf. Keiner hatte daran gedacht, eine Versicherung gegen Glasbruch abzuschließen, und so mußten 3000 Mark aus der Firmenkasse für die neue Scheibe berappt werden.
Auch mit der Werbung haben Hänsel und Brezel erst vor einem Dreivierteljahr begonnen. „Für mich war das nie relevant“, sagt Brezelverkäufer Harms. Er war präsent in den Kneipen – das genügte. Sollen aber auch Catering-Firmen oder Veranstalter mit Laugengebäck beliefert werden, sieht die Sache anders aus. „Ich merke den Effekt auf jeden Fall“, sagt Hoppe. „Ich fahre einen VW-Bus mit unserem Logo vorne drauf und ich sehe an den Lippen der Leute, daß sie unseren Namen auswendig lernen.“
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