: Leben am Ende der Euphorie
„Menschen im Umbruch“: Die sechsten Griechischen Kinotage im Haus der Kulturen der Welt erzählen von den verschiedenen Möglichkeiten der Veränderung ■ Von Elisabeth Wagner
Sie gehen nicht, sie schwimmen aufeinander zu. Beide sind sie schon im vorgerückteren Alter und haben die meisten Erfahrungen hinter sich. Unbeholfen und ein bißchen aus der Übung machen sie im Schwimmbecken eines Heilbades die ersten Züge aus dem alten in ein neues Leben. Es ist ihre letzte Chance auf eine Veränderung, die der Film ihnen als kurzes Glück gestattet. Danach bleibt alles, wie es war. Die Familie, die Kinder und die eigene Traurigkeit.
Veränderungen sind Grenzüberschreitungen. Sie sind schwierig und verursachen Komplikationen. Darin stimmt „Der Herr in Grau“ von Periklis Hoursoglou mit den anderen Protagonisten der sechsten Griechischen Kinotage überein. Auch wenn die Helden der übrigen Filme dieses Programms meist jünger und elastischer sind. Auf ihre Weise haben sie alle mit den heiklen Kippbewegungen der Veränderung zu kämpfen.
„Menschen im Umbruch“ lautet in diesem Jahr das Thema der Kinotage, die vom griechisch-deutschen Jugend- und Kulturzentrum Filia in Zusammenarbeit mit dem Haus der Kulturen der Welt veranstaltet werden. Es ist eine Frage, die nicht unbedingt die schlichten und leicht konsumierbaren Geschichten nach sich zieht. Das aber war ohnehin nie beabsichtig. „Es geht nicht darum, Filme verkaufen zu wollen, sondern darum, gute Filme zu zeigen.“ Nikos Pulsos, Organisationsleiter der Veranstaltung, formuliert den Anspruch dieser Filmreihe, der zugleich auch ein kleines Freiheitspostulat ist. Die Freiheit der Wahl – sie immerhin entschädigt für die Arbeit jenseits des Profits.
Einige Tage mit dem griechischen Kino also. Daß sie anders verlaufen können, als es der Mythos „Alexis Sorbas“ in den Köpfen mancher Zuschauer für immer und ewig vorzuschreiben schien, ist dabei selbstverständlicher Teil dieser Unabhängigkeit. Vorbei an dem sirtakitanzenden Hünen und seiner mittagheißen Leidenschaft. Die Zeit muß deshalb nicht weniger interessant sein. In „Faß mich nicht an“ von Dimitrios Yatzouzakis etwa verbringt man sie mit einem Mann, der die Grenzen des Anstands verletzt und sein erotisches Gefallen an Frauen nur in öffentlichen Verkehrmitteln entwickelt. Geschlechterpolitisch völlig unkorrekt findet er auf diesem Abweg sein unverdientes Glück.
Ganz im Unterschied zu den sechs jungen Männern aus „Die Abwesenden“. Als ehemalige Schulfreunde kehren sie jeden Sommer auf ihre heimatliche Insel zurück. Sie sitzen um vollbeladene Tische, trinken, rauchen, reden und sind bei aller Vertrautheit doch nicht in der Lage, sich irgend etwas wirklich Wichtiges, Persönliches mitzuteilen. Was bleibt in diesem Film des Regisseurs Nikos Grammatikos, sind Szenen einer sich ermüdenden Freundschaft, kleine Stilleben vom Ende der Euphorie.
Manchmal eben führt der ersehnte Aufbruch tatsächlich zu nichts anderem als zu Rückkehr und Scheitern. „Evdokia“ zum Beispiel erzählt von einer Prostituierten, deren Liebe zu einem Feldwebel an den Härten der Gesellschaft zerbricht. Am Schluß hilft keine Gegenwehr. Die Hure und ihre unmögliche Liebe werden abkassiert. In solchen klassischen Szenarien folgt der Film von Alexis Damianos den Traditionen des griechischen Kinos. Verlassene Siedlungen, staubige Landstraßen und eine Sonne, die jeden Funken Verzweiflung erbarmungslos ausleuchtet. Die Auseinandersetzung mit gesellschaftlichen Realitäten findet immer noch statt. Auch wenn der Blick sich an die Langsamkeit mancher Bilder erst gewöhnen muß.
Filme wie „Evdokia“ – zu nennen wären an dieser Stelle ebenso „Deserteur“ von Giorgos Korras und Christos Voupouras – bieten allerdings tatsächlich nur eine Variante des Erzählens. Die griechischen Kinotage üben sich da nicht in Enthaltsamkeit. Im Gegenteil. Sie kennen viele Möglichkeiten, den Veränderungen des Lebens zuzusehen. Lange und kurze Formate gibt es, dramatische Perspektiven, tragische und selbst hysterische Rotationen wie in Nikos Perakis Film „Pater Familias“. Einer schrillen und wunderbar vulgären Groteske im Stile einer Detective story. Die Grenzen des Umbruchs sind Gott sei Dank fließend.
Vom 17.11 bis 25.11 im Haus der Kulturen der Welt, John-Foster- Dulles-Allee 1
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