Zierat für den Himmelssohn

Taiwan zeigt die kaiserlichen Kunstschätze aus dem Nationalen Palastmuseum Taipeh im Pariser Grand Palais  ■ Von Maren Richter

Der Zeithorizont der chinesischen Geschichte und Kultur ist für Abendländer geradezu unvorstellbar. Die erste Dynastie wurde vor 3.500 Jahren gegründet, das Brennen und Verzieren von tönernen Gefäßen beherrschten die Chinesen schon vor 5.000 Jahren, und die ältesten Stücke des chinesischen Nationalschatzes sind 7.000 Jahre alt. Der Großteil der riesigen Kunstsammlungen der chinesischen Kaiser wird heute nicht in Peking gehütet, sondern in Taipeh – mithin in der Hauptstadt der „abtrünnigen Provinz“, wie Taiwan seit 1949 von der Volksrepublik gesehen wird.

Die im Pariser Grand Palais eröffnete Ausstellung zeigt einen Teil der Hauptwerke dieser kaiserlichen Schätze: Jade, Bronze, Keramik, 108 Gemälde und Kalligraphien. Werke, die vom 10. bis zum 18. Jahrhundert in die kaiserlichen Sammlungen aufgenommen wurden – „Erinnerungen an ein Imperium“, so der Titel der Ausstellung. In sieben abgedunkelten Räumen, mit schwarzem Teppich und spärlichem Licht ausgestattet, sind die Kunstwerke in Glasvitrinen ausgestellt. Die Gemälde wirken wie mit einem Weichfilter gezeichnet: Mit wenigen Strichen gezeichnete Berghänge, Schneelandschaften und Schluchten scheinen aus dem Nichts zu kommen.

Dabei haben Europäer, die gewohnt sind, ihre Kunstschätze in Stilepochen einzuteilen, erst einmal Schwierigkeiten, Entwicklungen festzustellen. Es scheint, als ob das chinesische Reich über allen Zeiten schwebte, quasi unsterblich, zwischen Realität und Traum. Und doch, die Kunst blieb nicht stehen – sie entwickelte sich nach den Vorlieben der chinesischen Kaiserhäuser. „Jede Dynastie hatte ihren eigenen Charakter“, erklärt Jean-Paul Desroches, Chefkonservator des Nationalmuseums der Asiatischen Künste in Paris und Organisator der Ausstellung, „die Keramiken der Sung- Dynastie, die vom 10. bis 13. Jahrhundert herrschte, waren eher nüchtern, in der folgenden, der Yüan-Dynastie, gab es eine Vorliebe für reiche Verzierungen.“

Die kaiserliche Sammlung war der Ort, an dem die kulturellen Traditionen Chinas festgelegt wurden. Der Kaiser setzte die Normen. Kunstrichtungen, die ihm nicht gefielen, wurden nicht gesammelt und so ins Abseits gedrängt. So betrieben die Kaiser Kunstpolitik – nicht um der Kunst willen, sondern als machtpolitisches Instrument. Im alten China war der Kaiser „der Sohn des Himmels“. Der Himmel war die oberste Gottheit, und der Kaiser regierte sozusagen „von Himmels Gnaden“. Dafür mußte er für die Harmonie zwischen Himmel und Erde sorgen. Wenn es Krieg gab oder Not, war das ein Zeichen dafür, daß der Himmel dem Kaiser nicht gewogen war.

Ganz ernst wurde es, wenn dem Kaiser die Kunstschätze abhanden kamen – ein sichtbares Zeichen dafür, daß der Himmel dem Kaiser das Mandat entziehen wollte. Zwar änderten sich im 3. Jahrhundert n.Chr. diese Vorstellungen. Die Palastsammlungen wandelten sich zu reinen Kunstsammlungen. Die zentrale Bedeutung der Kunst für die Macht des Herrschers aber blieb erhalten: Der Besitz der Schätze war untrennbar verknüpft mit der Legitimation für die Herrschaft über China.

Selbst im 20. Jahrhundert, als die Uhr für die chinesischen Kaiser endgültig abgelaufen schien, war dies keineswegs vergessen. Die Geschichte abenteuerlicher Fluchten und Transporte, die die Schätze seit den 30er Jahren erlebten, zeugt davon. In mehrere tausend Kisten verpackt, wurden sie kreuz und quer durch das ganze Land gekarrt – zunächst, um sie vor den Japanern zu retten. Als dann 1949 die Truppen Maos China eroberten, floh der Führer der Nationalisten, Tschiang Kai- schek, mit 500.000 Soldaten und einem großen Teil der Oberschicht vom Festland auf die Insel Taiwan. Mit von der Partie: mehrere tausend Holzkisten. Inhalt: die kaiserlichen Kunstschätze. Und das nicht bloß, weil die Mannen Tschiang Kai-scheks besondere Kunstliebhaber waren, sondern vor allem, weil sie damit ein historisches Faustpfand für ihre politischen Ansprüche in der Hand hatten.

Vor diesem Hintergrund hat die Ausstellung, die bis Januar 1999 in Paris gezeigt wird, auch eine – wenngleich unerklärte – politische Dimension: Seit der Ausrufung der Volksrepublik China durch Mao 1949 tobt der Streit um die Frage, wer als rechtmäßiger Nachfolger des alten China auftreten darf: Peking oder Taipeh. Da seit den 70er Jahren immer mehr Länder diplomatische Beziehungen zur Volksrepublik aufgenommen haben und Taiwan im Gegenzug die diplomatischen Beziehungen zu diesen Staaten abgebrochen hat, wird die Position Taipehs immer prekärer. Nicht zuletzt der Anschluß Hongkongs an die Volksrepublik hat in Taiwan die Furcht vor den Ambitionen Pekings verstärkt.

Wenn Taiwan nun – zuerst 1996 in den USA, jetzt in Paris – kostbare Bestände des chinesischen Nationalschatzes zeigt, so legt dies die Vermutung nahe, daß damit auch eine politische Botschaft an die Weltöffentlichkeit verknüpft ist. Man macht darauf aufmerksam, daß das nationalchinesische Erbe nicht in Peking, sondern in Taipeh gehütet wird. Offiziell ist davon jedoch keine Rede. Daß die Ausstellung dennoch eine politische Dimension hat, mag ein Detail des überaus heiklen Transports der Kunstschätze verdeutlichen: Beim Flug nach Europa durften sie das Territorium der Volksrepublik nicht überqueren.

Bis 25.1.1999, Grand Palais, Paris