piwik no script img

Hunderttagefragen

Das Bonner Kanzleramt sieht gar nicht aus wie das Zentrum der Macht, sondern wie „eine zu groß geratene rheinische Sparkasse“, findet sein ehemaliger Bewohner Helmut Schmidt. Im Fernsehen sieht man immer einen langen, ovalen Tisch, um den die Minister zur Kabinettssitzung Platz nehmen. Was die meisten Menschen interessiert, wird nicht gezeigt: Wie hat sich der angeblich mächtigste Mann der Republik eingerichtet? Am Rande von Gerhard Schröders Einzug ins Kanzleramt („friendly takeover“, wie der Spiegel schrieb) erfuhr man nichts über ihn und leider nur wenig über seinen abgewählten Vorgänger.

Helmut Kohl hatte es sich im Zentrum der Macht mit a) einem Aquarium, b) Mineralien und Edelsteinen sowie c) Chefsekretärin Juliane Weber gemütlich gemacht. So weit, so langweilig. Auch hier fällt der 98er Regierungswechsel gegenüber dem 89er Machtwechsel ziemlich ab. Wissen Sie noch, wie spannend das war, als die DDR-Bonzensiedlung in Wandlitz von Volk und Fernsehkameras gestürmt wurde?

Wo bleibt die Gerhard Schröder Home-Story?

Im Badezimmerschränkchen des Staatsratsvorsitzenden Erich Honecker fand man damals westdeutsche Zahnpasta. Die Tube, wurde rasch ermittelt, stahlen einst Grenzer aus einem westdeutschen Paket an arme Brüder und Schwestern. Keine Sorge, wir wollen gar nicht an Gerhard Schröders Badezimmerschränkchen. Nur ein bißchen am Privatleben unseres Kanzlers teilhaben.

Auch andere deutsche Helden erfüllten solche Wünsche. Boris Becker zeigte stolz die Fotos des Kinderzimmers seines kleinen Bobbeles. Lothar Matthäus führte Frauke Ludovig von RTL-Exclusiv durch seine Garage und präsentierte zwölf Nobelkarossen. Die ultimative Gerhard-Schröder-Homestory aber fehlt. Kürzlich kam heraus, des Kanzlers Doris habe einen „eleganten, ausladenden Schreibtisch aus hellem Birnbaumholz“ angeschafft, der gar nichts ins Kanzleramt paßt, wo Wände und Decken mit Eichenholz getäfelt sind. Dies ist ein Anfang. Das Volk verlangt mehr Offenheit. Schröder hat die Wahl: Frauke Ludovig oder die friedliche Revolution. Robin Alexander

Eine Koalition, die was bewegt: taz.de und ihre Leser:innen

Unsere Community ermöglicht den freien Zugang für alle. Dies unterscheidet uns von anderen Nachrichtenseiten. Wir begreifen Journalismus nicht nur als Produkt, sondern auch als öffentliches Gut. Unsere Artikel sollen möglichst vielen Menschen zugutekommen. Mit unserer Berichterstattung versuchen wir das zu tun, was wir können: guten, engagierten Journalismus. Alle Schwerpunkte, Berichte und Hintergründe stellen wir dabei frei zur Verfügung, ohne Paywall. Gerade jetzt müssen Einordnungen und Informationen allen zugänglich sein. Was uns noch unterscheidet: Unsere Leser:innen. Sie müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 50.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Es wäre ein schönes Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen