Im Sportdreß durch den Sprachmüll

■ In einer Fassung von „ungefähr zwei Stunden“ Dauer ist Elfriede Jelineks am Wiener Burgtheater sogar „ungefähr sieben Stunden“ langes „Sportstück“ jetzt als deutsche Erstaufführung im Concordia in Bremen zu sehen

Eines Tages wird das Bremer Theater auch diesen Einfall übernehmen – nein, es wird ihn kreativ „toppen“: Unter der Überschrift „Wer im Sportdreß kommt, zahlt weniger“ lockte das Wiener Burgtheater im März dieses Jahres die ZuschauerInnen an. Für schlappe sieben Mark konnte das sportlich gekleidete Publikum der ersten Aufführung der Langfassung von Elfriede Jelineks „Sportstück“ mit „ungefähr sieben Stunden“ Dauer beiwohnen. Solche Preise von einer Mark pro Schauspielstunde gewährt das Bremer Theater noch nicht. Doch auch Joachim Lux, der das monströse Stück jetzt als deutsche Erstaufführung im Concordia inszenierte, greift ein hämisches Jelinek-Postulat als Regieanweisung auf: „Zuschauen genügt nicht, Selbermachen ist viel schöner.“ Wo's schon im Stück steht, muß eben auch etwas geboten werden.

Mit allem Stadttheateraufwand hat Kathrin Frosch das Concordia zu einer Mischung aus Arena und leergelaufenem Hallenbad hergerichtet. Nach einem Vorspiel und vor einem Nachspiel sitzt das Publikum entweder am wohl 2,10 Meter hohen Beckenrand oder wie TennisschiedsrichterInnen auf Hochsitzen. So hat der Theater-event schon mal seine Event-Architektur und Joachim Lux, der bald in die Dramaturgie ausgerechnet der Wiener Burg wechseln wird, sein Forum zur Inszenierung eines als uninszenierbar geltenden Stückes.

Die Kurzbeschreibung, das „Sportstück“ behandle das Massenphänomen Sport und dessen Nähe zur Gewalt, hat sich in den Rezensionen durchgesetzt. Es war eine Kritikenflut, die nach Erscheinen des Buches und nach der Wiener Uraufführung unter der Regie des Bremer Literaturpreisträgers Einar Schleef erschien. Denn was immer Elfriede Jelinek, „Österreichs gehaßte Vorzeige-Autorin“ (Standard-Kurzbeschreibung der Schriftstellerin), verfaßt: Die erst 1996 (auch schon) mit dem Bremer Literaturpreis und 1998 mit dem Büchner-Preis dekorierte Autorin kann sich nicht über fehlendes Echo beklagen.

Im Concordia ist sie jetzt als Double zugegen. Von der Kopfseite des Beckens moderiert und dirigiert Henriette Cejpek alias Elfie Elektra im Jelinek-Outfit das geschnipselte Geschehen. Unten im Becken und auf einigen reservierten Zuschauerplätzen sprechen die insgesamt zehn spielenden Ak-teure in Monologen und in an griechisch-antike Tragödien angelehnten Chorpassagen vom ewigen Kampf aller gegen alle. Zur halb subtil plätschernden, halb subtil atmosphärischen Musik des jungen Bremers Günter Merlau verhandeln sie ein wüstes, hier auf „ungefähr zwei Stunden“ gekürztes Sammelsurium aus Wettkampfsprüchen, Reklameslogans, Schlachtgebrüll, Elternhaus-Haß-Attacken und Vater-, Mutter-, Frau-, Manns- und Kinds-Komplexen. Hemmungslos legt ihnen Frau Jelinek Kalauer, Stilblüten und Ready mades wie „mein Sohn, ein Apoll, jawoll“ oder „quasi mit der Stasi“ in den Mund, daß sich vor lauter Plumpheit gelegentlich die Balken biegen und es eigentlich kein Wunder ist, daß das Becken sein Wasser nicht mehr halten kann. Es wäre zum Verzweifeln, wenn's im Theater nicht manchmal trotzdem komisch wäre.

Joachim Lux und seine Ausstatterin Kathrin Frosch nämlich haben dem Personal jede Rest-Eleganz genommen: Die bei Jelinek zu Sportfunktionären mutierten Griechenkrieger Hektor und Achill (Volker Mosebach und Robert Tillian) mutieren hier in ihren abgerissenen Anzügen weiter zu zwei absurden Commedia-dell'arte-Figuren. Stärker noch schlagen sie bei Katrin Heller zu. Sie darf als „Das Opfer“, meistens im Rollstuhl sitzend und in Pyjama und Gummistiefeln kostümiert, alles ausspielen, was sie an Häme und Verbitterung angesammelt hat, und scheint von Bernhards „Fest für Boris“ oder Jandls „Aus der Fremde“ pünktlich und paßgenau ins Jelinek-Panoptikum übergelaufen zu sein. Auf die Spitze treiben sie es aber mit Cornelia Kempers als „Die Frau“. Sie beklagt, daß sie ihren Sohn an den Sport verliert – oder bei einem Unfall schon verloren hat? Egal. Denn die Kempers, die ganz in Verband gehüllt ist und sich mit Stricknadeln zu kasteien pflegt, ist sozusagen zum Verzweifeln komisch.

Ihr Auftritt und die gar absurden Sportszenen zwischendurch machen den Abend durchaus kurzweilig. Denn nur erstens schrammelt dieses von Plattheiten nur so wimmelnde Stück immer haarscharf an der Kante zur Mülltonne entlang und hält sich nur, indem jede Plattheit entweder ironisch gebrochen oder gleich wieder durch eine Gegenplattheit weitergetrieben wird. Doch zweitens kommt irgendwann in der Bremer Inszenierung dieser satirischen und doch ziemlich sinnlosen Vorlage dieser seltsame Moment, der auch in der Wiener Urfassung angebrochen war: Ab diesem Moment nämlich könnte man diesen Gestalten auch stundenlang zusehen und -hören bei ihrem Gewälze durch den von Jelinek aufgeschriebenen (und vielleicht doch der Wirklichkeit abgelesenen) Sprachmüll. Christoph Köster

Weitere Aufführungen: 19., 25. und 28. November sowie am 3., 5., 8. und 10. Dezember um 20 Uhr im Concordia. „Die Sportparty“ am 20. November um 22 Uhr dortselbst. Außerdem im Begleitprogramm: Im Kino 46 die Filme „Wege zu Kraft und Schönheit“ (D, 1925) am 22. November um 18.30 Uhr, „Die letzten Schlachtgesänge“ (von Fußballfans) am 11. und 12. Dezember um 18.30 Uhr sowie Buster Keatons „College“ vom 13. bis 15. Dezember um 20.30 Uhr