: Glaube, Liebe, Hoffnung
■ Seelenspeisung fürs lokale Nobelproletariat: Xavier Naidoo, der Heiland aus Mannheim, rief zur R&B-Messe in die Columbiahalle
Ist Xavier der Saviour? Im Kosmos der 3p-Plattenfirma nimmt er, neben Gott (Moses P.) und Mutter Maria (Sabrina „Schwester“ Setlur) die Position des Messias ein. Sein Erkennungszeichen ist ein Kreuz: X-förmig zwar, aber doch deutlich als ein Kreuz zu erkennen, prangt es über der Bühne. Xavier Naidoo ist eben „nicht von dieser Welt“.
Ganz profan allerdings hatte sich der Heiland aus Mannheim in ortsübliche Bekleidung geworfen, bevor er sich am Montag abend zur R&B-Messe unter das Volk begab. Mit T-Shirt und Baseballmütze glich der schlacksige Sänger mehr einem x-beliebigen Skaterkid vor der Gedächtniskirche als jenem eleganten Dressman, als den man ihn aus dem Fernsehen kennt. Doch es ging ja im Konzert um das Ritual der Menschwerdung, um die Kommunion mit der Gemeinde.
Der Erlöser des Deutschpop, der die Lücke zwischen den Propheten Grönemeyer und R. Kelly füllt, ist gekommen, um uns durch seine gelbe Brille das Gute im Menschen sehen zu lassen. Da muß er sich ein bißchen verkleiden, um in Berlin als Gleicher unter Gleichen angenommen zu werden. Schließlich hatten sich in der Columbiahalle keine trendhörigen H&M-Hipster, sondern das lokale Porsche- & Nike-Nobelproletariat versammelt. Mädchen in Daunenjacke und Dauerwelle, Jungs mit Silberkettchen und sportlichen Sweatshirts, dahinter die Älteren mit Schreinemakersfrisuren oder gepflegtem Schnauzbart – sie alle waren gekommen, um dem göttlichen Wort zu lauschen.
Und das verkündete der Botschafter des Herrn, in Begleitung einer achtköpfigen Band, mit dem ihm eigenen Sendungsbewußtsein. „Ich kann dich sehen“, behauptete er, und daß er „frei sein“ wolle. Zu solchem Bekenntnis fügte sich nahtlos die Gospel-Einlage, die er allein mit seinen beiden Begleitsängerinnen bestritt.
Die Position des Backgroundvokalisten, nuschelte Naidoo ins Mikrophon, sei ihm ja selbst bestens vertraut. Zwischen seine eigenen Stücke schob er ganz beiläufig Soul-Standards wie „Sometimes I feel like a motherless child“ oder „Ain't no sunshine when she's gone“, und auch eine kleine HipHop-Battle zwischen Vokal- und Instrumentalisten fand ihren Platz. Bis dann zum Ausklang wieder ein Hauch von Kirchentag einzog, mit abgehangenen Spruchweisheiten wie „Man erntet, was man sät“ oder einem inbrünstigen Ständchen an „Meine Stadt“. Muß I denn ... Halleluja!
Xavier Naidoo, der nette Junge von nebenan, steht für ein gepflegtes Kleinstadt-Lebensgefühl, das in seiner spießig-multikulturellen Normalität in Mannheim wohl ähnlich wie in Moabit ausfällt. Mehr als ein deutsches Soul-Surrogat für Fahrlehrer und Kaufhausverkäuferinnen, verkörpert er für sein Azubi-Publikum deswegen, ganz unironisch, was Tocotronic ihren studentischen Jüngern bieten: Glaube, Liebe, Hoffnung. Daniel Bax
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