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Der tote Hund bleibt scharf

■ Bessere Fernsehbilder statt mehr Sender: In den USA soll den Zuschauern die Digitalisierung mit einer Technologie schmackhaft gemacht werden, deren Einführung in Europa scheiterte

Will man sich in New York ein Basketballspiel der Knicks anschauen (falls der Arbeitskampf bald beendet ist) und hat keine Karten, so kann man neuerdings in ein Lokal im Madison Square Garden gehen. Dorthin werden die Spiele übertragen – aber nicht auf eine normale Großbildleinwand, sondern auf einen Schirm, der die Spielzüge detaillierter und schärfer erkennen läßt als die gewöhnliche Flimmerkulisse.

Das liegt an der neuartigen Technik, die nicht nur für Großbildübertragungen eingesetzt wird, sondern nach dem Wunsch ihrer Protagonisten bald der Standard in der US-Fernsehübertragung sein soll: HDTV (High Definition TV) steht für hochauflösendes Fernsehen. Die Zahl der Zeilen, die ein Fernsehbild aufbauen, wird bei HDTV von gegenwärtig 525 auf 1.080 etwa verdoppelt. Welchen Schub das für die Bildqualität bedeutet, illustriert die Tatsache, daß die ersten Fernseher, die 1936 die Olympiade in Berlin übertrugen, bereits 441 Bildzeilen zeigten.

Gleichwohl gilt HDTV in Europa als toter Hund und als Beispiel für eine völlig verfehlte europäische Forschungs- und Industriepolitik. Doch in den USA ist der tote Hund ziemlich lebendig: Anfang des Monats begann die große Einführungsphase. In zehn Ballungsräumen wie Chicago und Los Angeles bekamen regionale Anbieter und die Ketten ABC, CBS, NBC und Fox jeweils einen Übertragungskanal kostenlos, wenn sie ihn digital nutzen.

Das Wörtchen digital bezeichnet den Unterschied zwischen der europäischen Technologieruine und den amerikanischen Zukunftshoffnungen. In Japan und Europa wurde ab Anfang beziehungsweise Mitte der achtziger Jahre mit Steuermilliarden HDTV-Forschung betrieben – allerdings auf der Grundlage herkömmlicher, also analoger, Fernsehübertragung. Eine „Sackgassen-Technologie“, wie der Hamburger Medienforscher Hans J. Kleinsteuber sagt. In Japan gelangte die Entwicklung sogar zur Ausstrahlung: Zehn Stunden HDTV-produziertes Programm gehen bis heute täglich über den Sender, allerdings wurden kaum Endgeräte verkauft, die die neue Technik auch sichtbar machen könnten. Das liegt einerseits am Stückpreis, der anfangs umgerechnet 40.000 Mark betrug. Aber nicht nur: Die europäische Konkurrenz erwies sich zwar als zu schwach und technisch zu unterentwickelt, um selbst einen Weltstandard zu setzen. Sie war aber immerhin noch stark genug, die japanische Offensive zu blockieren.

Nun hat Anfang November auch Japans Regierung beschlossen, sich bis in fünf Jahren von der analogen HDTV-Übertragung wieder zu verabschieden. Letztlich wären bei Analogtechnik die viel zu großen Datenmengen, die man für das hochauflösende Fernsehen übertragen muß, immer zu einem Problem geworden. Mit der Digitaltechnik kann man hingegen etwa das Zehnfache der herkömmlichen Datenmenge durch die Übertragungskanäle schicken: also mehr Programme oder bessere Bilder. Daß die US-Medienaufsicht FCC nun die zweite Lösung fördert, liegt auch daran, daß bislang die Übertragungsqualität in den USA bislang noch schlechter ist als in Europa. Zudem haben sich die US-Behörden für einen rasanten Einstieg in die allgemeine Digitalisierung entschieden: Bis 2006 soll sie komplett durchgesetzt sein und das herkömmliche Fernsehen abgeschaltet werden (hierzulande peilt man 2010 an). HDTV soll nur eines der Produkte sein, von der sich die darbende US-Gerätebranche nach Jahren des Rückgangs wieder einen Aufschwung erhofft.

Die hochauflösende Technik kann dabei nur eine Art Luxussegment sein. Schließlich braucht man dafür die einstweilen sehr teuren (Stückpreis derzeit rund 4.000 Dollar), etwa 1,50-Meter breiten Endgeräte, bei denen die Pay-TV-Decoder gleich eingebaut sind. Zudem ist die Programmware, die in dem hochauflösenden Format aufgenommen wurde, bislang nur spärlich vorhanden: Es sind zunächst vor allem Kinofilme. Auch die großen Late-Night-Shows mit David Letterman und Jay Leno werden mit HDTV aufgezeichnet. Bilder, die mit alter Fernsehtechnik produziert wurden, kann HDTV auch nicht besser machen.

Daher sollen Aktionen wie die im Madison Square Garden nun dazu führen, daß erst einmal ein Grundstock an HDTV-Programmen entstehen kann: Zum Beispiel die NBA-Spiele der New York Knicks oder im nächsten Jahr die Baseball-Spiele der New York Yankees. Die Rechte der Baseballspiele gehören Rupert Murdochs Sportsender Fox Sports, und Fox hat gemeinsam mit dem Garden für fast zehn Millionen Dollar einen HDTV-Übertragungswagen gekauft, den ersten im Lande. Daß die Protagonisten vor allem auf Sport setzen, hat Gründe, die mit dem bei HDTV erforderlichen Bildschirmformat von 16:9 zusammenhängen. Das „erleichtert es, Aufbau und Entwicklung eines Spiels zu beobachten“, schreibt die New York Times, „etwa so, als säße man in der neunten Reihe“. Das ist bei Baseballspielen der beste Platz.

In den USA fürchtet die Filmindustrie schon, daß mit der qualitativ hochwertigen Technik Kopien gezogen werden, die dann in irgendwelchen Eckkinos auftauchen – daher erwägen manche Studios, ihre Filme für die entsprechenden Sender zu sperren. Und Kulturpessimisten, wie Jerry Landay im Christian Science Monitor, erwarten gar „mehr Live-Übertragungen von Selbstmorden und Opferungen“. Auch viele TV-Unternehmer sind noch skeptisch – wie Jerald Fritz vom Washingtoner Channel 7, der fragt, ob schärfere Bilder ihm auch nur einen Werbespot mehr bringen werden.

In der Alten Welt setzt man bei der Digitalisierung nach dem analogen HDTV-Flop ohnehin eher auf Masse als auf Klasse. Nur eine bescheidene Verbesserung in der Übertragungsqualität soll neben dem Bildschirmformat 16:9 propagiert werden: Nämlich Pal-Plus, eine Weiterentwicklung des alten Pal-Systems. Doch der werden außerhalb Europas keine Chancen eingeräumt. Martin Krauß

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