: Viel Streit, aber keine Lösungen
Der Asien-Pazifik-Gipfel wird zur peinlichen Veranstaltung. Statt Lösungen zur Asienkrise zu finden, gibt es Streit um politische Reformen und Freihandel ■ Aus Kuala Lumpur Jutta Lietsch
Belastet vom Konflikt zwischen den USA und Gastgeber Malaysia hat gestern in Kuala Lumpur der asiatisch-pazifische Gipfel (Apec) begonnen. „Ich habe noch nie in meinen Leben eine so abscheuliche Rede gehört“, sagte Malaysias Handelsministerin Rafidah Aziz zur Rede von US-Vizepräsident Al Gore vom Vorabend. Jemand sollte ihm „Benimm beibringen“. Kaum nachdem Gore am Montag abend in Kuala Lumpur aus dem Flugzeug gestiegen war, hatte er den Gastgebern bei einem Bankett eine scharfe Lektion erteilt.
In den „Nationen, die unter der gegenwärtigen Wirtschaftskrise leiden“, sagte Gore, „hören wir Rufe nach Demokratie in vielen Sprachen: ,people's power‘, ,doi moi‘ (vietnamesisch für Reformen) und ,reformasi‘.“ Während Malaysias Premier Mahathir Mohamad und Minister aus China, Rußland, Vietnam, Indonesien, Peru und anderen Apec-Staaten erstarrten, fuhr Gore fort: „Wir hören sie heute – gerade hier, gerade jetzt – von den tapferen Menschen in Malaysia.“ Demokratische Reformen seien nötig, um Korruption zu überwinden und Investoren anzuziehen. „Bürger, die diese Reformen in Gang bringen, werden ihren Ländern zum Wohlstand verhelfen – da Investoren ihr Geld und ihr Vertrauen in die Demokratie legen und es aus Nationen abziehen, wo Entscheidungen verfälscht werden, wo aufgeblähte Bürokratien nur sich selbst unterhalten, wo Verträge nicht eingehalten werden und wo die Regierung die Steuern verschlingt, ohne etwas für das Volk zu tun.“
Anschließend verließ Gore, der einzige Sprecher des Abends, das Bankett, ohne einen Bissen gegessen zu haben. Seine Presseleute erklärten, die Bemerkungen seien ganz im Sinne von Präsident Bill Clinton, der abgesagt hatte.
Spätestens da war klar: Der Gipfel der 21 Staats- und Regierungschefs aus der asiatisch-pazifischen Wirtschaftsregion wird eine höchst peinliche Veranstaltung. Bereits am Wochenende waren die Handels- und Außenminister unfähig gewesen, ernstzunehmende Projekte vorzustellen, um die Not der Millionen Menschen zu lindern, die seit Beginn der Asienkrise in tiefe Not gestürzt sind. Zwar konnten die Politiker nicht mehr wie noch vor einem Jahr so tun, als sei die Krise nur ein kleiner „Ausrutscher“ (so Clinton damals). Aber viel mehr als festzustellen, daß die Arbeitslosen und Verarmten dringend ein „soziales Netz“ brauchen, wollten sie nicht.
Eine Lösung für die tiefverschuldeten und rezessionsgeplagten asiatischen Staaten ist nicht in Sicht. In den letzten Monaten hatte Washington Tokio immer wieder wegen des Miyazawa-Plans angegriffen. Danach sollte ein von Japan mit 30 Milliarden Dollar gespeister Hilfsfonds den Krisenländern helfen. Doch die USA fürchteten, damit würde der Einfluß des Internationalen Währungsfonds (IWF) unterhöhlt.
Nicht sehr überzeugend wirkte der Versuch, die Risse zu kitten. Ein angekündigter neuer US-amerikanisch-japanischer Hilfsfonds, der zur Reform des Bankenwesens und als Konjunkturpaket dienen soll, ist völlig unausgegoren. Noch ist unklar, wer wieviel Geld zur Verfügung stellen wird. Die Rede ist von drei bis zehn Milliarden US-Dollar. Davon sollen je eine Milliarde an Thailand, Indonesien und Süd-Korea gehen. Auch Weltbank und IWF sollen beteiligt werden. Kommentar der malaysischen Handelsministerin: „Es ist mir völlig egal, was die USA irgendwem in der Welt anbieten wollen. So billig können sie uns nicht kaufen.“
Unterdessen bemühte sich Malaysias Regierung, Unterstützung für ihre eigene Wirtschaftspolitik zu finden: Denn zum Entsetzen des IWF hat sie seit September jeden Handel mit der malaysischen Währung im Ausland verboten. Gleichzeitig zwingt sie seitdem Anleger, ihr Geld mindestens ein Jahr in Malaysia zu lassen. Mahathir hat stets ausländische Spekulanten für das plötzliche Ende des Tigertraums verantwortlich gemacht.
Während in Asien der Ruf nach Schutz vor den Folgen der Globalisierung lauter wird, versuchen besonders die USA, am Ziel der Marktöffnung festzuhalten. Schon ab nächstem Jahr, so der Plan, sollten die Zölle in der Region für Produkte aus neun Bereichen – darunter Fisch und Holz – fallen. Doch daraus wurde nichts. Tokio weigerte sich, die schon 1997 beschlossene Handelsliberalisierung zu akzeptieren, um seinen Fischern nicht noch mehr Konkurrenz zuzumuten. Da alle Entscheidungen im Konsens gefällt werden, wurde das Vorhaben auf Eis gelegt. Unterdessen gaben sich im Haus von Wan Azizah, der Frau des inhaftierten Ex-Vizepremiers Anwar Ibrahim, Kamerateams und Diplomaten die Klinke in die Hand. Die unter Regierungskontrolle stehenden Zeitungen berichteten darüber wie auch aus der Rede Gores. Sein arroganter Auftritt verärgerte auch Oppositionelle. „Er fliegt ein, hat keine Ahnung, predigt, beleidigt die Gastgeber und verschwindet“, sagte ein malaysischer Journalist erbittert. „Es gibt einen Unterschied zwischen Kritik und Verachtung.“ Kommentar Seite 12
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