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Ultimatum an Bräutigam

■ Nach Serows Flucht: Brandenburger Justizminister in Erklärungsnotstand

Potsdam (rtr/dpa) – Noch fordert ihn niemand direkt, dennoch scheint er nicht mehr unmöglich: der Rücktritt von Brandenburgs parteilosem Justizminister Hans Otto Bräutigam. Nach der spektakulären Flucht des mutmaßlichen Hintze-Entführers Sergej Serow aus der Potsdamer Justizvollzugsanstalt hat die CDU Bräutigam ein Ultimatum gestellt. Bis spätestens morgen müsse er die zahlreichen offenen Fragen vollständig beantworten, sagte der innenpolitische Sprecher Dierk Homeyer gestern vor Beginn der Sondersitzung von Innen- und Rechtsausschuß im Landtag. Geschehe das nicht, wolle die Union darüber entscheiden, ob sie Bräutigams Rücktritt fordere. Der Minister sei jetzt in der Pflicht, „die unglaublichen Vorgänge rückhaltlos aufzuklären“, betonte Homeyer.

Bräutigam kann sich derzeit noch auf die Rückendeckung der SPD-Landtagsfraktion verlassen. Er sei ein „hervorragender Justizminister mit unbestrittener Autorität“, lobte ihn Fraktionssprecher Ingo Decker. „Das Wort Rücktritt ist in der Sitzung nicht gefallen.“

Bräutigam selbst wiederholte nach der Sitzung, daß er die politische Verantwortung trage und ständig prüfe, wie er dieser gerecht werden könne. Er bezeichnete es als „sehr kritische Entscheidung“, die aufs schärfste zu beanstanden sei, Serow als Handwerker Zugang zu Werkzeug zu ermöglichen. Daß überhaupt ein mutmaßlicher Schwerverbrecher in Untersuchungshaft Handwerker-Tätigkeiten nachgehe, sei „mindestens ungewöhnlich“.

Der designierte Brandenburger CDU-Chef Jörg Schönbohm, vor kurzem noch Berlins Innensenator, hat personelle Konsequenzen verlangt. Im Deutschlandradio sagte Schönbohm gestern, nach der Flucht Serows und nahezu hundert weiterer Häftlinge in Brandenburg stelle sich die Frage nach der politischen Verantwortung. Auch Sicherheitsexperten haben die Umstände scharf kritisiert, unter denen Serow die Flucht gelang. Der Vorsitzende des Bundes der Strafvollzugsbediensteten, Franz Hellstern, äußerte sich gestern befremdet, wie die Sicherheit derartig mißachtet werden konnte. Serows Flucht war erst nach 14 Stunden entdeckt worden.

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