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Die Lords überstimmen Tony Blair

Das britische Oberhaus hat eine von Tony Blair vorgeschlagene Wahlrechtsreform platzen lassen. Immer mehr Mitglieder der Labour-Partei wehren sich gegen die strenge Kontrolle durch die Parteiführung  ■ Von Ralf Sotscheck

Dublin (taz) – Es war die schwerste Niederlage, die das britische Oberhaus einer Regierung seit mehr als einem Jahrzehnt beigebracht hat. Die Lords verwarfen vorgestern zum fünften Mal die vom Unterhaus abgesegnete Wahlreform für die Europawahlen im nächsten Juni. Die Regierung wollte das Verhältniswahlrecht einführen, bei dem die Wähler für eine Partei stimmen. Die Tories wollen dagegen am Mehrheitswahlrecht mit Direktkandidaten festhalten. Im Oberhaus haben sie eine Dreiviertelmehrheit.

Mit ihrem Konfrontationskurs haben die Lords jedoch ihr eigenes Todesurteil unterzeichnet. Premierminister Tony Blair hat bereits Rache geschworen: Das Stimmrecht für diejenigen Lords, die ihren Titel geerbt haben, soll abgeschafft werden. Die Queen wird ein entsprechendes Gesetz am Dienstag vorstellen, wenn sie das neue Parlament eröffnet.

Das Gesetz zur Wahlreform ist mit einer Mehrheit von 29 Stimmen abgelehnt worden. Hätten die Erblords nicht mitgestimmt, so behauptet Blair, wäre das Gesetz mit einer Mehrheit von 41 Stimmen durchgegangen. Die Regierung könnte nun den selten benutzten „Parliament Act“ anwenden, der den Entscheidungen des Unterhauses Vorrang einräumt, um die Wahlreform doch noch durchzusetzen. Dazu ist jedoch die Kooperation der Tories erforderlich, denn es ist Eile geboten: Wenn das Gesetz nicht bis Mitte Januar verabschiedet ist, müßte im Juni nach dem alten System gewählt werden.

Aber auch drei Labour-Lords stimmten gegen die Wahlrechtsreform. Sie sind über die Kontrollgelüste ihrer eigenen Parteiführung beunruhigt. Am Mittwoch wurde ein internes Labour-Papier bekannt, aus dem hervorgeht, daß die Europaabgeordneten, die Blair treu ergeben sind, auf der Kandidatenliste ganz oben stehen, während die Dissidenten hoffnungslose Listenplätze erhielten. Seit seinem Amtsantritt als Labour- Chef versucht Blair, jede abweichende Meinung im Keim zu ersticken. Die Parteitage, früher das Schlachtfeld der verschiedenen Flügel, sind sorgfältig choreographiert, die Parteiführung bestellt Loblieder bei Hinterbänklern. Bei Kommunal- und Unterhauswahlen werden die Kandidaten oft über die Köpfe der Bezirksorganisationen hinweg bestimmt, um sicherzustellen, daß keine Blair-Kritiker auf den Listen landen.

Für das Amt des Bürgermeisters von Groß-London, das im Jahr 2000 wiedereingeführt wird, sollen die Labour-Bewerber eine Art Prüfung ablegen, in der sie nicht nur nachweisen müssen, daß sie die Parteilinie in allen Bereichen kennen, sondern auch, daß sie ihr folgen – eine Maßnahme, die Ken Livingstone zur Strecke bringen soll. Der „rote Ken“ war der letzte Bürgermeister, bevor Margaret Thatcher den Rat von Groß-London abschaffte, weil er ihr zu links war.

Vor kurzem nun hat die Labour-Geschäftsführerin Margaret McDonagh ein Memorandum an sämtliche Vorstandsmitglieder geschickt und ihnen verboten, Einzelheiten über Sitzungen auszuplaudern. Der linke Labour-Abgeordnete Mark Seddon, der vorigen Monat in den Parteivorstand gewählt wurde, sagte am Wochenende, er werde sich nicht „von den Kontrollfreaks in meiner Partei knebeln“ lassen.

Er bezog sich dabei vor allem auf den Labour-Bund mit den Liberalen, der ihm gegen den Strich geht. Blair und der Chef der Liberalen Demokraten, Paddy Ashdown, haben in geheimen Verhandlungen ohne Rücksprache mit Parteikollegen eine Vertiefung der Zusammenarbeit beschlossen. Künftig sollen auch die Bereiche Sozialreform, Europa und Gesundheit im gemeinsamen Kabinettsausschuß diskutiert werden. Der Ausschuß war gleich nach den Wahlen eingerichtet worden, um sich mit der Reform des Wahlsystems zu beschäftigen. Das Unterhaus soll spätestens 2006 nach dem Verhältniswahlrecht gewählt werden – eine Herzensangelegenheit für Ashdown, denn beim derzeitigen Mehrheitswahlrecht hätte seine Partei nie eine Chance auf ein Zipfelchen der Macht, wie es die Grünen in Deutschland ergattert haben.

Ashdown sieht sich bereits jetzt als Koalitionspartner. Ashdowns Kritiker innerhalb der Liberalen Partei haben die Allianz „Operation Staubsauger“ getauft, mit der Blair die liberale Mitte aufsaugen wolle. Ashdown mußte sich am Montag abend vor dem Parteivorstand in einer Sondersitzung verantworten. „Ich glaube nicht, daß es am Ende zu einer Fusion kommen wird“, sagte er, „wir reden hier von pluralistischer Politik.“ Das letzte Wort hat die Parteibasis.

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