piwik no script img

Scharmützel vor der Elitenburg

Wer kennt nicht das Gefühl, in teuren Boutiquen vom gepflegten Verkaufspersonal verstohlen gemustert zu werden? Und das peinigende Bewußtsein, den Test nicht bestanden zu haben? Was passiert, wenn sich Kundin und VerkäuferIn ein verdecktes Gefecht liefern, analysiert  ■ Sonja Ebner

Sie stehen vor den Auslagen: Prada, Yamamoto, Helmut Lang. Oder: Dior, Versace, YSL. Haben Sie diese Geschäfte auch schon betreten? Oder ertappen Sie sich dabei, doch immer wieder abzuschwenken, kurz vor dem entscheidenden Moment – dem Öffnen der Tür? Für all jene, die noch zögern: hier eine einladende Warnung.

Sie betreten das Geschäft – und werden begutachtet, mit langen Blicken, von oben nach unten. Erinnern Sie sich an Julia Roberts als „Pretty Woman“, wie sie – mit den Taschen voller Geld – versucht, dieses in Kleiderboutiquen loszuwerden? Ein, zwei, drei Damen, die sie unters Mikroskop nehmen, um sie treffsicher abzuschießen: „Für Sie haben wir hier nichts!“

Kundinnen exklusiver Bekleidungsgeschäfte fühlen sich nur allzu oft als „feindliche Partisanen“ behandelt. Kein überhöhter Preis kann die Modehungrigen vertreiben, eine spitze Demütigung allemal. Zur Besorgnis der Chefitäten, zum kurzweiligen Vergnügen der VerkäuferInnen, die langfristig über ausbleibende Umsätze und damit Provisionen klagen. Was bloß ist es, das sie so paradox agieren läßt?

Nehmen wir an, Sie sind eine Studentin in fortgeschrittener Studienphase, mit fortgeschrittener Lust auf Designerklamotten. Sie wissen, in Edelboutiquen einzukaufen wäre eine echte Herausforderung für Ihr Budget. Doch letzthin war da eine tolle Mütze in der Auslage, die erschwinglich schien. Sie ziehen also an, was ihrer Einschätzung nach gut ausschaut an Ihnen und auch in das Geschäft paßt. Sie sind ein bißchen aufgeregt. Sie drosseln Ihren Atem, Ihr Tempo. Drücken gegen die Eingangstür, und plötzlich stehen Sie inmitten eines Verkaufsraums, mitten in der prallen Aufmerksamkeit von schmutzlos- staubfrei gekleideten Menschen.

Die Damen und Herren in Schwarz, die VerkäuferInnen, sind ihrerseits AufsteigerInnen. Sie haben sich von vollgestopften Billigboutiquen hochgearbeitet zu teuren Geschäften mit viel Stein um wenig Ware, mit hoher Betreuungsintensität, mit Stamm- statt Laufkundschaft. Bezahlt haben sie für diesen Aufstieg mit einem spezifischen Anpassungsprozeß an die Verhaltensnormen dieser Geschäfte: mit Triebkontrolle. Immer saubere Schuhe, immer frisch gezogener Lippenstift. Leise und schön sprechen, gehaltene Bewegungen, salbungsvolles Gehabe. Diese VerkäuferInnen wurden genug schikaniert, wurden herablassend behandelt – von KundInnen, von älteren VerkäuferInnen, vielleicht auch von Chefitäten. Sie kennen die Hürden des gesellschaftlichen Aufstiegs. Sie sind einige Jahre gewandert, mit der Elitenburg als Ziel vor Augen. Sie haben eingefleischte Verhaltensweisen verlassen, um sich das spezifische Gehabe dieser Elite anzueignen – ein Verhalten, das der französische Sozialwissenschaftler Pierre Bourdieu Habitusaspiration nennt.

In Zeiten des Identitätswechsels ist man anfällig für Demütigungen, weil die Glaubenssysteme verrutschen, kein festes Gefüge von haltgebenden Überzeugungen sich um unsere wirren Gefühlswelten schützend rankt. Die VerkäuferInnen wurden getroffen, beschämt – und haben diesen Schmerz verkehrt in Aggression.

Die SozialpsychologInnen Thomas Scheff und Suzanne Retzinger sprechen hierbei von Scham-Aggressions-Schleifen. Bleibt die Scham ungewürdigt, unerkannt, so findet der Schmerz zwei Wege: nach außen oder nach innen gerichtete Aggression. Ersteres kennen wir als verbales Kanonenfeuer, letzteres versteckt sich oft im Rückzug von der sozialen Welt. Diese Scham-Rückzugs-Schleifen können pathologisch werden. Kehren wir jedoch zurück zum unscheinbaren Alltag. Die erfolgreichen VerkäuferInnen durchleben eine Veränderung jenes Verhaltens, das sie sich unbewußt in ihrer Primärsozialisation angeeignet haben; sie greifen damit massiv in ihre soziale Architektur ein.

Ähnliches passiert unserer Studentin, einst als Abiturientin vom Land in die Stadt übergesiedelt. Aus der Bauerstochter ist eine Akademikerin geworden. Diese Parallele der AufsteigerInnen verschärft den Konflikt zwischen beiden Gruppen. Die VerkäuferInnen sind ein Stück weiter auf ihrem Weg der Aneignung. Auch wenn der Verkaufsverstand in der jungen Frau die Kundin der Zukunft erkennt, so wittert doch der gekränkte Gefühlshaushalt eine Chance, selbsterlebte Kränkungen gekonnt weiterzuleiten an ein verwundbares Wesen.

Natürlich, nicht nur grausam ist unsere Welt: Haben die einst selbst nach Orientierungshilfe Suchenden wohlwollende Menschen gefunden, so können sie dieses Wohlwollen auch weiterschenken. Was also erwartet unsere junge Studentin, die noch immer im Eingangsbereich des Geschäftes verweilt, mitten in der prallen Aufmerksamkeit der Damen und Herren in Schwarz? Sie weiß nicht wohin, flüchtet also in einen Blick nach innen. „Die gerippten Socken wirken zu männlich. Die Schuhe hätte ich reinigen sollen.“ Sie steht für einige Augenblicke starr, handlungsunfähig, versunken in ihrer Selbstkritik.

Dem kanadischen Sozialwissenschaftler Erving Goffman zufolge kennzeichnet eine verlegene Person, daß sie momentan nicht über ihre physischen und psychischen Ressourcen verfügt, um die Anforderungen der Situation zu bewältigen, das anstehende Spiel ordentlich zu spielen. Emotionale Aufgelöstheit gilt als Schwäche, Unterlegenheit. Deshalb versuchen „Aufgelöste“ diesen Zustand zu verbergen – durch ablenkende Gesten, durch Lächeln. Diese Gesten dienen als Schutzschilde, hinter denen die Verwirrten sich sammeln, um sich wieder zurück ins Spiel bringen zu können.

Die Verkäuferin in der Rolle der Oberpriesterin verläßt ihren Platz hinter ihrem Altar, und tritt auf unsere Studentin zu. Etwas Freundliches in ihren Augen. „Was kann ich für Sie tun?“ Oh, ein Dialog. Ein Frage-Antwort-Spiel. Sie ist wieder drin im Spiel. Weiß, welches der nächste Schritt ist, den es zu setzen gilt. „Sie hatten letzte Woche diese schwarze Mütze in der Auslage. Haben Sie die noch?“ Gerade war sie noch Fremdkörper in dieser Situation, jetzt ist sie mittendrin, ist Teil dieses Spiels.

Wohlwollende Menschen helfen den Verwirrten, indem sie so tun, als wäre nichts Peinliches vorgefallen, oder indem sie Anleitungen geben, wie ihr Gegenüber wieder ins Spiel zurückkommen kann. Mißlingt allerdings dieser Rettungsversuch, dringt es in das Bewußtsein der Anwesenden um so schärfer, daß es etwas zu verstecken gab. Es gibt einen kritischen Punkt, wo Bloßgelegte aufhören, ihren Zustand zu verheimlichen, und damit die Kompetenz abgeben, die Situation mitzuerhalten. Die Betroffenen weisen sich als gebrochenes Individuum aus. Unsere junge Studentin jedoch konnte den kritischen Punkt überwinden – durch die Hilfe der Oberpriesterin.

Unterdessen betritt eine andere junge Frau, Mitte zwanzig, eilig das Geschäftslokal. Auf den ersten Blick wirkt sie dem Geschäft entsprechend gekleidet, als sei sie hier am richtigen Ort. Die VerkäuferInnen schenken ihr keine besondere Aufmerksamkeit. Sie setzt an zur Kurve, steuert zielstrebig nach oben. Rutscht aus. Peinliche Stille.

Verlegenes Verhalten ist das Gegenstück zum regelgemäßen: Jemand spielt nicht richtig mit. Peinliches Verhalten stört den Fluß der Dinge. Als Störfaktor der Interaktion verlangt es nach einer Reaktion, nach Hilfestellung, nach Ignorieren oder nach Flucht.

Alle Nebenstehenden werfen ihren Blick auf sie, die sich eiligst bemüht, wieder aufzustehen. Niemand hilft ihr oder versucht, dem rutschigen Steinboden die Schuld für den Zwischenfall zu geben. Die VerkäuferInnen bleiben stehen. Und keiner fragt, ob ihr etwas zugestoßen sei. Die Kundin flüchtet aus der peinlichen Situation in das obere Stockwerk.

Peinsame Situationen geben nicht nur Anlaß, jemanden ins Spiel zurückzuführen, sondern auch, ihn als unerwünscht auszuweisen, ihn zu demütigen, indem eben keine Hilfestellungen geboten werden. Dieser soziale Sanktionsmechanismus hat historische Vorbilder: Dürfen wir dem Kinofilm „Ridicule“ Glauben schenken, so galt es am Hofe des Sonnenkönigs als eklatanter Fauxpas, auf dem Tanzparkett auszurutschen. Was wiederum ausgenutzt wurde, um unerwünschte Personen bloßzustellen: Das Bein wurde ihnen gestellt. In unserem Beispiel wurde kein Bein gestellt, und doch wohnten alle VerkäuferInnen dem an sich schon schmerzlichen Fall bei, ohne die Kundin verbal oder körperlich aufzufangen.

Es sind vor allem BildungsaufsteigerInnen, die viel und ausgedehnt über derartige Verletzungen, ja Demütigungen berichten, oft versteckt hinter einem Angriff auf die Hochnäsigkeit und Arroganz der VerkäuferInnen, die in solchen Geschäften arbeiten. Die VerkäuferInnen üben – oft unabsichtlich – eine Selektionsfunktion aus; sie gehören zu den Wachposten der Elitenburg, die die Ausgrenzung, das schmutzige Geschäft der Wahrung der Elitengrenzen übernehmen. Sie sind besonders aggressive Vorposten, weil sie selbst gerade erst über den Burggraben gehüpft sind und außerordentlich gut über die Demütigungsmechanismen Bescheid wissen.

Stumm passiert die Selektion, vornehm. Die längst Etablierten machen sich die Hände nicht schmutzig. Keiner will es, keiner weiß es, und es passiert trotzdem.

Sonja Ebner arbeitet als Soziologin an der Karl-Franzens-Universität in Graz, Österreich

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen