: Brummis dürfen weiter dieseln
■ Klemann verschiebt Fahrverbot für Lkw in der Innenstadt. Umweltverwaltung verärgert
Auch im nächsten Jahr werden stinkende Lastwagen durch die Innenstadt brummen. Verkehrssenator Jürgen Klemann (CDU) hat sich über den Senatsbeschluß, ab 1999 „dreckige“ Lkw im inneren S-Bahn-Ring zu verbieten, hinweggesetzt. Seine Begründung: Zu viele rechtliche Fragen müßten angesichts des flächendeckenden Verbots noch geklärt werden. Die Umweltverwaltung hat dafür kein Verständnis. Hartwig Berger, umweltpolitischer Sprecher der Grünen, hält die Taktik für „verlogen“.
Nach jahrelanger Diskussion mit allen Betroffenen hatte der Senat 1994 das „Innenstadtkonzept“ beschlossen. Inhalt des Konzepts: Vom 1. Januar 1999 an sollte die Innenstadt für Lieferwagen bis 3,5 Tonnen, die die festgelegte Grenze an Schadstoffen überschreiten, gesperrt sein. Vom 1. Januar 2000 an sollte dieses Verbot auch für Lastwagen ab 3,5 Tonnen gelten.
Nachdem sich Verkehrs- und Umweltverwaltung im vergangenen Jahr um die Kennzeichnung der Lkw bemüht hatten, führt der Verkehrssenator jetzt rechtliche Bedenken ins Feld. Offen sei etwa, erläuterte seine Sprecherin Petra Reetz, ob das Land haftpflichtig werde, wenn eine Spedition klage, weil sie durch das Verbot bankrott gegangen sei. Man sei sich zudem nicht klar darüber, ob ein flächendeckendes Verbot aufgrund eines einzigen zu hohen Schadstoffwertes (Ruß) und von Einzelmessungen rechtmäßig sei.
Folge der Bedenken: Umweltsenator Peter Strieder (SPD) läßt ein Rechtsgutachten anfertigen. Das hat er nach Ansicht seiner Verwaltung selbst in die Hand genommen, um zu gewährleisten, daß die Ergebnisse bald auf dem Tisch liegen. Im März nächsten Jahres wird damit gerechnet.
Die Einführung des Lkw-Verbots verschiebt sich damit über die vereinbarte Frist hinaus. Dabei hatte das Parlament noch im Oktober den Senat aufgefordert, das Innenstadtkonzept fristgerecht umzusetzen. Eine Arbeitsgruppe sollte bis zum 30. November Ausnahmeregelungen finden für kleinere Speditionen, die durch das Verbot in wirtschaftliche Schwierigkeiten geraten könnten.
Umweltverwaltung und Opposition sind derweil höchst erstaunt, daß dem Verkehrssenator vier Jahre nach dem Beschluß und eineinhalb Monate vor der Umsetzung plötzlich rechtliche Fragen einfallen. „Klemann hätte 50 Monate Zeit gehabt, das zu prüfen“, kritisierte Berger von den Grünen. Er hält die Bedenken für eine „billige Ausrede“. Zudem wirft er dem Senat einen „Vertrauensmißbrauch“ vor. Viele Firmen hätten bereits in schadstoffarme Lastwagen investiert in der Annahme, daß sie ab 1999 dazu verpflichtet seien. Diese Speditionen hätten jetzt einen Wettbewerbsnachteil gegenüber den Firmen, die weiterhin mit stinkenden Lkw führen. Auch in der Umweltverwaltung ist man nicht gut auf Klemann zu sprechen. Die Meßwerte lägen seit Jahren vor, die Maßnahmen zu deren Reduzierung seien Aufgabe der Verkehrsverwaltung, hieß es aus der Strieder-Verwaltung. Für diese Aufgabe hätten die Verkehrsleute Jahre Zeit gehabt. Nach Einschätzung der Umweltverwaltung ist es noch möglich, das Lkw-Verbot zum 1.Juli 1999 zu erlassen. Dann, so ist die Befürchtung, könnte jedoch das Wahljahr einen Strich durch die Rechnung machen, weil Klemann niemandem auf die Füße treten will. Jutta Wagemann
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