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Erinnern, wiederholen, durcharbeiten

Über die Schwierigkeit, ein einmal angefangenes Gemetzel zu beenden: Johannes Burkhardt sprach im Hamburger Institut für Sozialforschung über das „Nicht-aufhören-Können“ im Dreißigjährigen Krieg und den quälenden Lernprozeß, der zum Ende führte  ■ Von Christian Semler

Wer zu Zeiten der DDR längs der innerstädtischen Spree spazierenging, dem fiel eine Reihe reichverzierter Kanonen ins Auge, die gegenüber dem Zeughaus dräuten. Das edelste Stück der Sammlung bildete eine Danziger Kanone, gegossen zum Ende des Dreißigjährigen Krieges. Auf ihr ist der Gott Saturn abgebildet. Wie in einen Maiskolben beißt er in ein Kleinkind hinein. Darunter steht ein Vers. Die Kanone stellt sich vor: „Saturn fraß nur die Kindelein. Ich freße alle, groß wie klein.“

Ein offenes Wort. In den Jahren 1618 bis 1648 trug der Fortschritt der Artillerie zum Massensterben in Deutschland bei, wenngleich nicht an erster Stelle. Für den Tod eines Drittels der Bevölkerung (nach neuesten demographischen Schätzungen zwei Drittel) zeichneten die marodierenden Söldnerheere verantwortlich und in ihrem Gefolge Hunger und Seuchen. Wäre der Krieg auf deutschem Boden noch über 1648 hinausgegangen, so wäre ein paar Jahrhunderte später Günter Grass' „Die Deutschen sterben aus“ ein gegenstandsloses Werk geblieben. So wenigstens die Meinung der Fachleute, nach denen der Westfälische Friedensschluß für die deutsche Zivilbevölkerung quasi in letzter Minute erfolgte. Warum ist es nicht gelungen, der Kriegsfurie früher das Handwerk zu legen? Dreimal war der Frieden nahe, dreimal ging der Krieg, trotz Erschöpfung, trotz allgegenwärtiger Friedenssehnssucht, immer weiter, scheinbar unaufhörlich.

Dieses „Nicht-aufhören-Können“ wollte der Historiker Johannes Burkhardt, einer der Spezialisten für den Dreißigjährigen Krieg, untersuchen, und zwar als Gast des Hamburger Instituts für Sozialforschung. Ein geeigneter Ort für eine schreckliche Frage. Hat das Institut sich doch in den letzten Jahren, von der Ausstellung über die Verbrechen der deutschen Wehrmacht bis zu Forschungen über den modernen Genozid und die Traumatisierung von Folteropfern große Verdienste erworben, wo es um Aufklärung des Jahrhunderts der Barbarei, um Licht in „Nacht und Nebel“ geht. Die Vortragsreihe, die anläßlich des 350. Jubiläums des Friedensschlusses in Osnabrück und Münster konzipiert wurde, versteht sich dementsprechend nicht als historische Fachtagung in Fortsetzungen. Johannes Burkhardt wurde aufgegeben, über „Wiederholungen, Wandlungen, aber auch Überwindungen dieser Verhaltensweisen (des Nicht-aufhören-Könnens) in weiteren Kriegen der neueren und neuesten Geschichte“ zu referieren. Dieser Aufgabe entledigte sich der Augsburger Professor gründlich und originell.

Nach Burkhardt sind es im wesentlichen drei miteinander verschlungene Ursachenketten, von denen jede schwerwiegend genug war, den Friedensschluß immer wieder zu vereiteln. Deren erste bestand in der „strukturellen“ Intoleranz. Jede Konfession glaubte sich im Vollbesitz der christlichen Wahrheit – und sah diese Wahrheit vom Untergang bedroht. Solche Befürchtungen nährten sich von maximalistischen Positionen. Zum Beispiel vom Restitutionsedikt, das der siegreiche Kaiser Ferdinand 1629 erließ. Das Edikt beschwor die Gefahr herauf, daß von den Protestanten eingezogene geistliche Besitztümer dem katholischen Klerus rückzuübertragen seien, und zwar unabhängig von der jetzigen Glaubensrichtung der Einwohner. Im protestantischen Milieu erscholl der Ruf nach Rettung, der „Löwe aus Mitternacht“, der schwedische König Gustav Adolf, brachte sie. Jetzt füchteten die Katholiken um den Weiterbestand ihrer Religion. Langsam dämmerte es den Kriegsbeteiligten, daß es auf der religiösen Ebene keine Lösung gab – der Konflikt wurde auf die Ebene der Staatspolitik verlagert.

Schließlich verfiel man auf eine genial einfache Lösung. Man einigte sich auf ein „Normaljahr“, nämlich 1624, zur Feststellung der territorialen Religionszugehörigkeit. „Religionskrieg“ galt ab da als Schimpfwort – bis in Gestalt des Nationalismus eine neue Religion erstand.

Der zweite kriegsverlängernde Faktor bestand in der Eigendynamik des „Militärischen“. Mit Auftreten der Kriegsunternehmer (Wallenstein an der Spitze) wurde der Krieg zur Arbeitsbeschaffungsmaßnahme. Außerdem war es sicherer, Soldat zu sein denn Zivilist. Wovon sollten die Heere leben, wenn der Krieg „ein Loch bekam“? Im schwedischen Heer putschte sogar die militärische Führung gegen die politische von Axel Oxenstjerna. Kein Friedensschluß ohne Satisfaktion der Militärs. Bei den Friedensverhandlungen wurden schwedischerseits 20 Millionen Reichstaler gefordert, eine Summe, die schließlich auf fünf Millionen heruntergedrückt wurde.

Nach 1648 wäre es notwendig gewesen, die stehenden Heere, die oft die stehengebliebenen waren, im Staatswesen zu institutionalisieren. Einen Anfang machte die Kompetenz des Reichstags für den „Verteidigungsfall“, ein im damaligen Europa einzigartiges Institut. Allgemein aber blieb die Armee Verfügungsmasse des Monarchen. Es entstand ein staatlich-militärischer Dualismus, der vor allem für Deutschland verheerende Folgen hatte.

Der dritte Faktor ergab sich aus der Intervention ausländischer Mächte. Burkhardt vermied in seinem Vortrag den Begriff des „hegemonialen Ringens“ und sprach vom Kampf der Universalmächte. Die Spitze der hierarchischen Herrschaftspyramide des christlichen Europa war verwaist, und einer mußte schließlich die Führung innehaben, sollte die allgemeine Anarchie vermieden werden. Es bedurfte eines langanhaltenden Lernprozesses, bis ein „Modellwechsel“ sich abzeichnete: das gleichberechtigte europäische Staatensystem des Westfälischen Friedens. Burkhardt sieht den Dreißigjährigen Krieg innerhalb einer dreihundertjährigen Epoche der modernen Staatsbildung. Nach 1648 waren es vor allem unfertige Staaten wie Preußen, die Anerkennungskriege führten. Der Prozeß schien Ende des 18. Jahrhunderts abgeschlossen. Dann eröffnete das Zeitalter des Nationalismus einen neuen Kriegszyklus.

In der Diskussion sah sich der Professor von Fragen bestürmt, die alles andere als fachspezifisch waren. Vor allem von der einen: Wird es künftig möglich sein, Kriege zu vermeiden? Werden die Staaten erwachsen werden, wenigstens in Europa? Burckhardt zeigte sich gemäßigt optimistisch. Der Prozeß von Sezessionen und Neugründungen nach 1989 scheint abgeschlossen. Und es gibt Instrumente, von denen sich die so verdienstvollen Diplomaten in Osnabrück und Münster noch nichts träumen ließen: die multinationale Integration und die kriegsverhütende beziehungsweise -beendende Intervention einer besser organisierten Staatenwelt.

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