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Bei Sturm hilft nur der liebe Gott

Gutachten der Behörden zur „Pallas“-Havarie: Keine Fehler bei den Rettungsversuchen. Schiffsverkehr bedroht Küste, wenn es stürmt und an Bord brennt – das kommt in der Deutschen Bucht immer wieder vor  ■ Aus Amrum Heike Haarhoff

Ein Schiffsunglück wie das der „Pallas“ vor Amrum kann sich nach Ansicht der Wasser- und Schiffahrtsdirektion (WSD) Nord leicht wiederholen. Denn bei Sturm und Feuer an Bord drohen die Schiffe selbst dann an der Küste des Wattenmeeres zu stranden, wenn bei der Rettungsaktion keine Fehler gemacht werden. Das ist der Inhalt eines Gutachtens zur „Pallas“-Havarie, das der taz vorliegt und dessen Bewertung die WSD in Kiel teilt.

Bisher hatten Inselbewohner, Umweltschützer, Politiker, Gewerkschaften und Reedereien die Behörden beschuldigt, bei der Rettungsaktion Fehler gemacht zu haben. Viel zu spät hätten sie den einzigen zugkräftigen Hochseeschlepper, die private „Oceanic“, gechartert. Statt dessen wurden zunächst die schwächeren, bundeseigenen Schiffe „Mellum“ und „Neuwerk“ ausgesandt, deren Abschleppversuche scheiterten.

Nun heißt es, selbst die „Oceanic“ hätte das Unglück nicht verhindern können. Angesichts der sturm- bis orkanartigen Böen der Windstärke 8 bis 10 und wegen der widrigen Bedingungen an Bord der „Pallas“ – die Mannschaft verließ den Frachter, ohne den Motor abzustellen und den Anker zu werfen – hätte die „Oceanic“ womöglich nicht mehr ausrichten können.

Behörde: Entscheidungen waren richtig

Verfasser dieser These, die die WSD Nord in Kiel teilt, ist Olaf Hellwinkel, der Vorsitzende des Nautischen Vereins Nordfriesland in Husum. Anhand einer akribischen Datensammlung über den Unfallhergang will Hellwinkel nachweisen, daß „Einsatzführung und durchführende Einheiten sachgerecht gehandelt und die Gebote seemännischer Sorgfaltspflicht beachtet haben“. „Unsere Entscheidungen waren richtig“, hegt auch der Leiter des Dezernats Schiffahrt bei der WSD, Michael Wempe, keine Selbstzweifel.

Zwar sei die „Oceanic“, so Hellwinkel, unbestritten „der Spezialist unter den Schleppern“. „Mellum“ und „Neuwerk“ waren demnach für den „Pallas“-Einsatz auf hoher See jedoch ebenso tauglich. Der Vorwurf, sie seien wegen ihres weitaus geringeren Pfahlzugs (110 Tonnen Schleppkapazität „Mellum“, 180 Tonnen „Oceanic“) ungeeignet, ist für Hellwinkel ein „Scheinargument“: „Der höhere Pfahlzug ist wichtig beim Schleppen großer Schiffe; beim Schleppen eines nur mittelgroßen Anhangs, wie der ,Pallas‘, und angesichts der groben Wetterlage ist dieses Argument nachrangig. So schleppte die ,Mellum‘ in jener Nacht nur mit einem Fünftel ihres Pfahlzugs.“ Bei Einsatz eines höheren Pfahlzugs in dieser Lage, glaubt der ehemalige Marineoffizier, wären die Leinen vermutlich noch schneller gerissen.

Eine „absolute Sicherheit“, verkündet derweil Dezernatsleiter Wempe, „gibt es nicht“. „Sie können 20 ,Oceanics‘ in die Deutsche Bucht setzen und trotzdem die Situation haben, wo man keine Schleppverbindung herstellen kann.“ Schlechter Seegang und Windstärken von 8 bis 10, wie sie zum Unglückszeitpunkt herrschten, sind allerdings nach Auskunft des Deutschen Seewetteramts in Hamburg nichts Außergewöhnliches in der Deutschen Bucht. Auch Brände in den Laderäumen, bestätigen Schiffahrtsexperten, kommen immer wieder vor.

„Mit Naturgewalten auf See müssen wir leben“

Dennoch spricht Wempe von „widrigen Umständen“. Ist die Deutsche Bucht, einer der meistbefahrenen Seewege in Europa, ständig von Havarien bedroht, denen die Behörden schicksalsergeben gegenüberstehen? Wempe: „Mit den Naturgewalten auf hoher See müssen wir leben.“

Auch vier Wochen nach dem Unglück hatten die Löschmannschaften das Feuer an Bord gestern nicht vollständig unter Kontrolle. Ein neuer Ölfilm treibt auf Amrum zu. Weiterhin werden Tausende ölverklebter Hochseevögel an die Strände von Amrum, Föhr und Sylt gespült und dort von Naturschützern notgeschlachtet. Schleswig-Holsteins grüner Umweltminister Rainder Steenblock, gegen den der CDU-Kreisverband Nordfriesland Strafanzeige wegen schwerer Umweltgefährdung gestellt hat, erklärte, er habe sich keine Versäumnisse vorzuwerfen: „Ich habe niemals an Rücktritt gedacht, und ich denke nicht an Rücktritt.“ Die Havarie sei ein Unglück, doch jedes Jahr stürben viel mehr Vögel etwa durch auslaufendes Öl bei Bohrungen.

Die Einrichtung einer einheitlichen Küstenwache haben die Umweltminister der Länder angeregt. Umwelt-Staatssekretär Rainer Baake erklärte, für die Nord- und Ostsee müsse es eine internationale Vereinbarung zu Billigschiffen geben, zu der eine EU-Initiative vorbereitet werde.

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