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„Das ist Armutspolitik“

■ Aus dem Dritten Sektor darf kein Billiglohnsektor werden, sagt die Politik-Professorin Ingrid Kurz-Scherf. 1.200 Mark sind zuwenig Geld

taz: Sie kritisieren die Vision, mit Hilfe des sogenannten Dritten Sektors die Arbeitslosigkeit zu reduzieren. Warum?

Ingrid Kurz-Scherf: Natürlich brauchen wir eine Sphäre des ökonomischen Handelns jenseits der verbürokratisierten Staatstätigkeit und der auf Gewinnmaximierung orientierten klassischen Erwerbsbeschäftigung. Das Problem fängt aber da an, wenn Menschen, die heute kostenlos die Kinder betreuen, ein menschenwürdiges Auskommen einfach verweigert wird. Bei Arbeitern, die Autos produzieren, würde niemand auf eine solche Idee kommen.

Lobbyisten des Dritten Sektors setzen sich doch gerade dafür ein, daß etwa die Kinderbetreuung in der Nachbarschaft mit einem Lohn gekoppelt wird, um zum Lebensunterhalt beizutragen.

In der gegenwärtigen Diskussion geht es ja gerade nicht darum, durch die neue Kombination von öffentlichen Geldern und selbsterwirtschafteten Mitteln akzeptable Bedingungen für bislang kostenlose Dienstleistungen zu schaffen. In seinem Club-of-Rome-Bericht „Wie wir arbeiten werden“ (siehe auch Bericht oben – die Red.) schlägt der Autor Patrick Liedtke vor, diese gesellschaftlich hochgradig notwendigen Tätigkeiten maximal zum Sozialhilfesatz zu bezahlen.

1.200 Mark pro Monat für 20 Stunden Arbeit, also ungefähr eine halbe Stelle, ist nicht schlecht und außerdem existenzsichernd.

Mit 1.200 Mark kann man weder sich selbst noch seinen Kindern ein halbwegs würdevolles Leben sichern. Das ist Armutspolitik. Im übrigen haben Frauen, die heute einen großen Teil der unbezahlten Arbeit im Dritten Sektor leisten, nicht die Absicht, sich auf Billigjobs zu konzentrieren. Der Geschlechterkonflikt wird sich in zunehmendem Maße um die gutbezahlten Jobs auf dem ersten Arbeitsmarkt drehen. Deshalb sind auch mehr und mehr Männer davon bedroht, in den bürgerschaftlichen Billiglohnsektor abzusinken.

Wie sieht Ihre Alternative aus?

Die vorhandene gutbezahlte Arbeit muß auf andere Art organisiert werden, so daß mehr Leute an ihr teilhaben können. Zweitens brauchen wir einen Non-Profit- Sektor, der aber kein zweitklassiger sein darf. Vielleicht kann oder braucht man dort keine Spitzengehälter zu zahlen, aber auf jeden Fall müssen sie wesentlich über 1.200 Mark monatlich liegen. Interview: Hannes Koch

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