Die russische Reformpolitikerin Galina Starowojtowa ist tot, erschossen von einem Killerkommando, das ihr Freitag abend vor ihrer Petersburger Wohnung auflauerte. Die 52jährige ist die erste Frau, die der Anschlagsserie auf Abgeordnete der

Die russische Reformpolitikerin Galina Starowojtowa ist tot, erschossen von einem Killerkommando, das ihr Freitag abend vor ihrer Petersburger Wohnung auflauerte. Die 52jährige ist die erste Frau, die der Anschlagsserie auf Abgeordnete der Staatsduma zum Opfer fällt.

Politischer Auftrag: Mord

Mit dem gewaltsamen Tod der Duma-Abgeordneten Galina Starowojtowa verliert Rußlands schwache demokratische Bewegung eine ihrer wenigen herausragenden Stimmen. Galina Starowojtowa gehörte zu jenem kleinen Kreis von Unbeirrbaren, die allen Rückschlägen zum Trotz die Hoffnung nicht aufgeben, daß eines Tages auch in Rußland demokratische Grundrechte das Fundament des politischen Systems bilden werden.

Am Freitag abend war die 52jährige Parlamentarierin vor ihrer Wohnung in St. Petersburg durch mehrere Kopfschüsse niedergestreckt worden. Ihr Pressesekretär Ruslan Linkow erlitt ebenfalls schwere Kopfverletzungen, scheint indes nach Aussagen der behandelnden Ärzte nicht mehr in Lebensgefahr zu schweben. Damit wird er zum Kronzeugen, der genauere Hinweise auf die Herkunft der beiden Täter, bei denen es sich um ein Pärchen handeln soll, geben könnte.

Boris Jelzin schickte noch am Abend der Tat Innenminister Sergej Stepaschin nach St. Petersburg, um die Ermittlungen zu leiten. „Die Schüsse, die ihr Leben unterbrochen haben, treffen jeden Russen, dem demokratische Ideen teuer sind“, sagte Jelzin. Nach dem Attentat versammelten sich in St. Petersburg spontan mehrere tausend Menschen im Zentrum, um der mutigen Nonkonformistin zu gedenken.

Politiker und Wirtschaftsbosse leben in Rußland gefährlich. Allein fünf Parlamentarier der Duma fielen in den letzten vier Jahren Anschlägen zum Opfer. Die Bevölkerung nahm es kopfschüttelnd hin. Im Falle Starowojtowa herrscht Trauer. Denn sie verkörperte jenes marginale politische Spektrum, das sich der Korruption und Verflechtung von Politik und Kapital widersetzte. Hier mag der Schlüssel zu ihrem Tod liegen.

Ob das Attentat politische oder kriminelle Hintergründe hat, ist bisher nicht geklärt. Allerdings gehen Politik und Kriminalität in Rußland häufig Hand in Hand. Ein Vertrauter Starowojtowas teilte mit, die Abgeordnete wollte in den nächsten Tagen bekanntgeben, wer den tödlichen Anschlag auf St. Petersburgs Vizebürgermeister Michail Manewitsch verübt habe.

Die Schlacht um Eigentum und Macht wütet seit längerem in der Stadt an der Newa. Zudem wählen am 6. Dezember die Bürger eine neue Stadt-Duma. Erst letzte Woche warnte Anatoli Ponidelko, der im Juni geschaßte Polizeichef, das organisierte Verbrechen spiele bei den Wahlen eine herausragende Rolle. Ins gleiche Horn stieß der Petersburger Duma-Abgeordnete und ehemalige Fraktionsvorsitzende von Unser Haus Rußland, Sergej Belajew: „Die Umverteilung von Eigentum ist abgeschlossen, nun beginnt die Okkupation der Macht. Zuerst greifen sie nach der Macht in den Regionen, danach im Zentrum. Ich schließe nicht aus, daß diese Infektion das ganze Land am Ende paralysiert.“

Der Einfluß der Mafia in den höchsten Amtsstuben der „nördlichen Hauptstadt“ ist inzwischen ein offenes Geheimnis. Während der Zeit als Polizeichef hatte Ponidelko öffentlich eingeräumt, ihm seien zwölf Mitarbeiter bekannt, die engste Kontakte zur sogenannten Tambow-Mafia unterhielten.

In einem ihrer letzten Interviews hatte Starowojtowa angedeutet, welche politischen Kräfte mit Kontakten zu fragwürdigen Kreisen versuchten, an der Newa Fuß zu fassen. Mit dem Ziel, sich noch nicht privatisiertes Staatseigentum unter den Nagel zu reißen und den Zugriff auf die lukrativen Verladehäfen an der Ostsee zu erlangen. Der zu erwartende Gewinn würde reichen, um davon die Präsidentschaftskampagne 2000 zu finanzieren. Starowojtowa spielte nicht zuletzt deshalb mit dem Gedanken, bei den Gouverneurswahlen im nächsten Jahr im Leningrader Gebiet anzutreten. Die Kommunisten in der Duma, die in der Petersburger Politikerin eine ihrer unnachgiebigsten Gegnerinnen sahen, waren nach der Tat demonstrativ bemüht, jedes Verdachtsmoment von sich zu weisen. Vor kurzem hatte Starowojtowa die Partei in aller Öffentlichkeit des Rassismus und Antisemitismus bezichtigt. Aus Kreisen ihrer politischen Organisation „Bewegung Wahl Rußlands“ tauchten denn auch gleich Hinweise auf, am Tatort seien Waffen aus serbischen Beständen gefunden worden. Das würde die Spur in Richtung der rot-braunen Opposition lenken.

Ob das Verbrechen jemals aufgeklärt wird, ist fraglich. Bisher gelang es weder auf föderaler Ebene noch in Petersburg, einen der spektakulärsten Mordfälle zu lösen. Offenkundig haben die verantwortlichen Stellen kein Interesse daran.

Klaus-Helge Donath, Moskau