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AKW Krümmel bringt Plutonium ins Haus

■ Bremer Physikerin entdeckt Spuren des Isotops Pu241 in Dörfern rund um den Reaktor. Seit langem besteht der Verdacht, daß die Betreiber einen Störfall vertuschen. Erklärung für Leukämiefälle an der Elbe gefunden?

Hannover/Hamburg (taz) – Lange stand das AKW Krümmel im Verdacht, einen Störfall verheimlicht zu haben. Nun scheint es endlich einen Beleg dafür zu geben. In Staubproben aus der Umgebung des umstrittenen Atomkraftwerkes Krümmel sind Spuren von Reaktorplutonium, des Plutoniumisotops Pu241, nachgewiesen worden. Bundesumweltminister Jürgen Trittin (Grüne) dazu: Sollte sich bestätigen, daß das Plutonium aus dem AKW Krümmel stamme, dann dürfe das AKW „nicht wieder angeschaltet werden“. Der Ausstoß von Plutonium sei „durch die Betriebsgenehmigung nicht gedeckt“.

Im Auftrag der „Bürgerinitiative Leukämie in der Elbmarsch“ hat eine Arbeitsgruppe der Uni Bremen unter Leitung der Physikerin Inge Schmitz-Feuerhake zwölf Staubproben von lange nicht gereinigten Dachböden in der niedersächsischen Elbmarsch untersucht. In sieben von zwölf Staubproben wurde dabei das Zerfallsprodukt von Plutonium241, Americium241, gefunden. Auf Plutonium241 selbst, das keine Gammastrahlen aussendet und deswegen nur sehr schwer nachweisbar ist, wurde nur eine Staubprobe untersucht. In ihr fanden sich mindestens 6 Becquerel pro Kilogramm Staub. Aus den Americiumgehalten zurückgerechnet, ergeben sich für die sieben Staubproben Werte zwischen 11 und 110 Becquerel aus Reaktorplutonium pro Kilo. Laut Gesetz dürfte eigentlich überhaupt kein Plutonium gemessen werden.

Das Plutoniumisotop241, das bei einer Halbwertszeit von 13 Jahren relativ schnell zu Americium zerfällt, kann nach Angaben von Schmitz-Feuerhake nur durch Emissionen des AKW Krümmel in die Umgebung des Reaktors gelangt sein. Es sei weder durch Atomwaffenversuche noch durch die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl in die Bundesrepublik getragen worden. In Kontrollmessungen, die an Staubproben aus Oldenburg, Bremen und Lüneburg durchgeführt wurden, fanden sich denn auch keinerlei Hinweise auf das Reaktorplutonium241.

Das Atomkraftwerk wird seit Jahren für die extreme Häufung von Leukämieerkrankungen bei Kindern in der niedersächsischen Elbmarsch verantwortlich gemacht. Die Bürgerinitiative hatte die Analyse der Hausstaubproben in Auftrag gegeben, nachdem Ende 1997 jahrelange Reaktorwasserleckagen in Krümmel bekanntgeworden waren, die auch nach Auffassung offizieller Gutachter Freisetzungen von Alphastrahlern wie Plutonium zur Folge haben können. Bei der Überwachung der Umgebung des AKW werden in der Regel aber Alpha- und Betastrahlen nicht erfaßt.

Eine „sofortige Prüfung“ der Plutonium-Studie kündigte gestern die Kieler Atomaufsichtsbehörde an. Wilfried Voigt, grüner Staatssekretär im schleswig-holsteinischen Energieministerium, verwies darauf, daß zur Zeit auch „nach weiteren Emissionspfaden“ für radioaktive Stoffe aus dem Reaktor gesucht werde. Ein entsprechendes Gutachten solle ebenso wie eine strahlenbiologische Expertise etwa Mitte nächsten Jahres vorliegen.

Schmitz-Feuerhake ihrerseits hält das für überflüssig: „Die Ergebnisse sind ganz eindeutig. Es gibt auch kein Problem, Proben für weitere Untersuchungen zu beschaffen.“ Sie kritisierte die Aufsichtsbehörde in Kiel massiv wegen Tatenlosigkeit. Statt zu handeln, „hangelt die sich von Gutachten zu Gutachten“. Was solle denn „noch alles untersucht werden“, fragte sie gestern.

Der Betreiber des Reaktors an der Unterelbe, die Hamburgischen Electricitäts- Werke (HEW), geben sich derweil offiziell gelassen. HEW-Sprecher Johannes Altmeppen erklärte, „die Methoden“ der Wissenschaftlerin zu kennen: „Erst die Schlagzeile, und bei Überprüfungen ist bislang alles als falsch zusammengebrochen.“ „Das“, prophezeite Altmeppen, „wird hier auch so sein.“

Der Siedewasserreaktor Krümmel ist seit Juni 1998 wegen Wartungsarbeiten vom Netz. Seit 1989 waren in der Region zehn Kinder, ein Jugendlicher sowie zehn Erwachsene an Leukämie erkrankt. Bei einigen Plutoniumisotopen genügt bei Kindern bereits das Einatmen von drei Becquerel, um den offiziellen Grenzwert zu erreichen. Jürgen Voges, Sven-Michael Veit

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