Von der Hartnäckigkeit eines Mythos

betr.: „Die Ökosteuer, der Müll und das Leben“ (Querspalte),

taz vom 19. 11. 98

Lieber Detlef Kuhlbrodt, herzlichen Glückwunsch! Sie haben mir die berühmte Behauptung, „in der Eskimosprache“ gebe es „etwa 20 verschiedene Wörter für Schnee“, in natürlicher Umgebung präsentiert. Wäre ich nach der Lektüre von Geoffrey Pullums Aufsatz „The great Eskimo vocabulary hoax“ (im gleichnamigen Band, sehr zu empfehlen) noch nicht überzeugt von der Hartnäckigkeit dieses Mythos: Jetzt bin ich es. Denn die Behauptung ist falsch. Entscheidend ist aber nicht die Tatsache, daß sie falsch ist, sondern daß Sie sie so bereitwillig (und ungeprüft) übernommen haben.

Der Ursprung dieser Falschmeldung ist die simple Feststellung Franz Boas' in seinem „Handbook of North American Indians“ von 1911, daß Inuitsprachen verschiedene Wortwurzeln für verschiedene Schneeformen haben, während das Englische (und andere indoeuropäische Sprachen) diese Formen ableiten: Schneematsch, Neuschnee usw. Diese vollkommen banale Tatsache diente dem Hobby-Linguisten Benjamin Lee Whorf in den 40er Jahren als Beleg für eine von europäisch-amerikanischen Vorstellungen verschiedene Auffassung der Eskimos von Schnee. Nebenbei erhöhte er die Zahl der Wortwurzeln von vier (bei Boas) auf mindestens sieben. Nachdem nun das Gerücht, Eskimos hätten einen Haufen Schneewörter, erst mal in der Welt war, gab es kein Halten, die Anthropologistin Laura Martin sammelte Angaben zwischen neun und 200.

Man muß hinzufügen, daß Whorf auch der Schöpfer der Sapir- Whorf-Hypothese von der sprachlichen Relativität ist, die einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Sprache und Denken herstellt. Verkürzt: Wo kein Wort, da kein Konzept, wo viele Wörter, da unterschiedliche Konzepte.

Diese These diente mehreren Ethnologen vor allem dazu, verschiedenen „primitiven“ Völkern nur aufgrund ihres Wortschatzes (!) die Fähigkeit zur Abstraktion abzusprechen. Ein schönes Beispiel sind die Indianer, die angeblich keinen Begriff von Zeit haben, nur weil sich ihre temporalen Begriffe nicht einfach in westliche Sprachen übertragen lassen.

Wenn wir eine solche Sichtweise auf bestimmte soziale- oder Berufsgruppen übertragen, wird ihre Komik deutlich: „Im Leben von Innenarchitekten spielen Farben eine viel größere Rolle als im Leben anderer Menschen. Sie unterteilen deshalb einen Farbton, den wir als Beige bezeichnen, in viele unterschiedliche Nuancen. Das zeigt, daß Innenarchitekten anders denken als wir.“ Tut es das? Nur weil sie bei Farben etwas genauer hinsehen? [...] Jan Bruners, Köln