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Eisenbahner legen halb Europa lahm

Berlin (taz) – Am radikalsten waren die Belgier und Griechen. Sie ließen ihre Züge am Montag beinahe komplett in den Depots, während in Frankreich und Spanien immerhin jede dritte Bahn auf die Strecke geschickt wurde. Die Eisenbahner in Portugal und Luxemburg streikten für jeweils eine Stunde. In Deutschland war für Züge von und nach Belgien oder Frankreich in Aachen Endstation. Weil viele Reisewillige auf das Auto umstiegen, kam es in Ballungszentren wie Brüssel und Antwerpen zum Verkehrschaos.

Anlaß des ersten europaweit koordinierten Ausstandes von Beschäftigten einer Branche: In der kommenden Woche wollen die EU-Verkehrsminister über die Vorschläge der Brüsseler Wettbewerbskommission zur Liberalisierung im Schienenverkehr beraten – ein Regelwerk, das für den Verband der Verkehrsgewerkschaften in der Europäischen Union (FST), der zu dem Streik aufgerufen hatte, „eine Gefährdung für das Eisenbahnsystem und die Beschäftigung“ darstellt.

Die Eisenbahngewerkschaften in Großbritannien, Deutschland und Skandinavien erklärten sich „prinzipiell solidarisch“. Sie schlossen sich den Aktionen aber nicht an, weil politische Streiks in ihren Ländern verboten seien. Der Sprecher der Gewerkschaft der Eisenbahner Deutschlands, Hubert Kummer, erklärte, in Deutschland sei die Bahnreform ohnehin längst „sozialverträglich eingeleitet“.

Die EU-Kommission hatte angekündigt, daß sie fünf Prozent des Frachtverkehrs auf der Schiene sofort und in zehn Jahren insgesamt 25 Prozent für den Wettbewerb öffnen will. Voraussetzung dafür seien „Umstrukturierungen“ in den Eisenbahngesellschaften, die, so die Befürchtung der Gewerkschaften, nach britischem Vorbild ablaufen könnten. Das würde bedeuten, daß Infrastrukturmaßnahmen wie Brückenbau, die Verlegung von Schienen oder das Warten von Signalanlagen von der Beförderungsdienstleistung, also dem Transport getrennt werden. Das kann zu einer Aufsplittung in viele kleine Unternehmen führen. Verluste aus unrentablen Streckenabschnitten würden dann kaum noch aufzufangen sein. Die Folge: Arbeitsplatzabbau und schlechterer Service.

„Die eigentliche Aufgabe wäre, die Wettbewerbsverzerrung zwischen Schiene und Straße auszugleichen“, sagte ein Brüsseler FST-Sprecher. Dabei gehe es nicht nur um ungleiche Gebühren für Schienen und Straßen, sondern vor allem auch um die Arbeitsbedingungen, die den Straßentransport billiger machen. Während die meisten Eisenbahner sich bislang auf Tarifverträge berufen können, arbeitet Lkw- und Busfahrer inzwischen größtenteils selbständig oder scheinselbständig. Und durchschnittlich dreihundert bis vierhundert Stunden im Monat – in Deutschland bei einer tariflich festgelegten Höchstarbeitszeit von 244 Stunden. Beate Willms

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