: Gesellschaft der Glöckner
■ Wer am Computer sitzt, mißhandelt seinen Körper / „Beauftragte für Bildschirmarbeit“ kämpfen seit einem Jahr gegen Gesundheitsschäden
Sitzen sie bequem? Keine hängenden Schultern, kein eingeknickter Beckenbereich, der früher oder später zu Haltungsschäden oder gar einem veritablen Bandscheibenvorfall führen könnte? Kaffee-Tasse ergonomisch geschickt plaziert? Das ist gut.
Aber wie sieht es aus, wenn sie später den Computer einschalten? Immer noch entspannt? Geschätzte 80 Prozent aller Bildschirmarbeitsplätze entsprechen nicht den rechtlichen Bestimmungen: Mal ist der Stuhl zu tief, mal der Bildschirm zu hoch, mal zu wenig Frischluft im Raum, mal blendet Mutter Sonne. Und so kreieren die immer weiter zunehmenden Computer-Arbeitsplätze langsam aber sicher eine Arbeitsgesellschaft von gesundheitlich angeschlagenen Glöcknern von Notre Dame.
Der Bremer Arbeitssenator Uwe Beckmeyer (SPD) und die Europäische Union wollen nicht kampflos hinnehmen, daß es so wird. Deshalb finanzieren die beiden das Projekt „Bisquit“. Wenn man tief Luft holt, kann man sogar den ganzen Namen des Projekts aussprechen: „Qualifizierung zur Umsetzung der Bildschirmarbeitsverordnung im Betrieb unter dem Gesichtspunkt Sicherheit und Gesundheitsschutz am Arbeitsplatz – Ein beteiligungsorientiertes und sozialpartnerschaftliches Qualifizierungsmodell.“ Japs. Auf unbürokratisch, wenn auch verkürzt: Sitzschule.
Seit einem Jahr knabbert “Bisquit“ an Bremer Firmen, damit sie Mitarbeiter zu „Beauftragten für Bildschirmarbeit“ weiterbilden. 19 Angestellte verbrachten innerhalb des letzten Jahres 80 Stunden mit Fortbildern der Angestelltenkammer und der Uni, um zu lernen wieviel Tageslicht ein Arbeitsplatz braucht; wie Betriebsgymnastik ohne Peinlichkeit veranstaltet werden kann oder ob ein Stehpult Krampfadern verhindert. Im kommenden Jahr soll die nächste Gruppe an den Start gehen. Rund 350.000 Mark ließ sich der Arbeitssenator das Projekt kosten, etwa gleichviel kommt von der EU dazu.
Die Angelegenheit drängt gar ein wenig: Ab Dezember nächsten Jahres müssen alle Betriebe in Deutschland eine Verordnung umgesetzt haben, die 1996 beschlossen worden war. „Bildschirmarbeitsverordnung“ heißt das Machwerk, das für bessere Arbeitsbedingungen für Sitzberufe sorgen soll. Jede Firma ab zehn Mitarbeitern muß dann schriftlich dokumentieren, ob die Mitarbeiter gute Arbeitsplätze haben und ob Maßnahmen zur Gesundheitsverbesserung eingeleitet wurden. An Zwangsmaßnahmen ist zwar nicht gedacht, dennoch hoffen Arbeitsrechtler, daß das Problem nicht einfach ausgesessen wird. Eine der Möglichkeiten, wie Arbeitgeber auf diese Verordnung hingewiesen werden, ist „Bisquit“.
„Bildschirmarbeit ist Schwerstarbeit, wenn ergonomisch etwas falsch läuft“, meint Gerlinde Hammer von der Kooperation Universität/Arbeiterkammer. Die Betriebe müssen umdenken, findet sie: Bequeme Arbeitsplätze fördern letzt-endlich die Produktivität der Mitarbeiter und senkt die Krankheitszeiten. Heute werden ein Drittel aller Fehlzeiten durch Muskel- und Skeletterkrankungen verursacht, Tendenz steigend. Auch Augenprobleme nehmen zu. Dabei ist Abhilfe manchmal ganz einfach. Wenn der Bildschirm zu hoch steht, klappt der Lidschlag nicht mehr. Das Auge bleibt trocken. Und wird rot und brennt. Bildschirm niedriger, Problem beseitigt. Das muß einem auch erst mal gesagt werden.
Christoph Dowe
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