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Die Krux mit der diplomatischen Immunität / Beifall aus Bayern wundert nicht / Neue Gerechtigkeit la SPD? / Von wegen Scheitern als Chance

betr.:„Pinochet – Entscheidung erst im Dezember“, taz vom 18. 11. 98, „Pinochet ist gedemütigt, geschädigt“, taz vom 19. 11. 98

Irgendwie ist die ganze Sache mit der Verhaftung von General Pinochet für die britische Regierung reichlich konfus. Einerseits ist Pinochet der „Helfer“ von Maggie Thatcher während des Falkland-Krieges und somit ein „Verbündeter“, andererseits ist es klar, daß General Pinochet, moralisch betrachtet, eine juristische Verurteilung erfahren muß. Denn die Anti-Folter-Konvention der UN erfordert eine Anklageerhebung durch die britische Regierung. Wenn da nur nicht diese Krux mit der diplomatischen Immunität wäre.

Aber auch da hätte die britische Justiz eventuell einen Präzedenzfall: Im Jahre 1941 flog ein stellvertretendes Staatsoberhaupt Rudolf Heß, d. Red.) nach England, das daraufhin trotzdem inhaftiert und (in meinen Augen zu Recht) 1946 in Nürnberg zu lebenslanger Haft verurteilt wurde.

Vielleicht lassen sich ja die damaligen Begründungen jetzt auch für eine Verhaftung und Verurteilung von General Pinochet verwenden. Verdient hätte er es vermutlich. Joe Kausler, Marktoberdorf

Beifall aus Bayern wundert nicht

betr.: „Schilys neue Freunde“ (Die Länderinnenminister sind von seinen Ansichten über Ausländer ziemlich begeistert),

taz vom 20. 11. 98

Daß Otto Schily eine ebenso harte Nuß sein würde wie sein Vorgänger, zeichnete sich bereits bei den rot-grünen Koalitionsverhandlungen ab. Daß Schily seinem Ruf als „roter Kanther“ so schnell gerecht wird, haben vermutlich wenige erwartet. Daher verwundert auch der Beifall aus Bayern nicht.

Was aber der neue Chef vom BMI und die Damen und Herren der Union allzu gerne vergessen, ist die Tatsache, daß seit dem Anwerbestoppabkommen aus dem Jahre 1973 sowie diversen Visabestimmungen eine Einreise im Sinne der Zuwanderung in die Bundesrepublik nur im Zuge der Familienzusammenführung (Grundlage Artikel 6 GG) sowie aus humanitären Gründen (Asyl – Artikel 16a GG) möglich ist. Auch wird vergessen, daß die Zahl der MigrantInnen im Saldo rückläufig ist.

Die Frage ist nur, ob der Innenminister und die Justizministerin einfach den Kurs von ihrem Chef Schröder verfolgen – welcher vor nicht allzu langer Zeit ganz unverblümt gesagt hat, daß Gäste, die sich nicht an die Regeln des Gastgebers halten, mit der Konsequenz der Abschiebung rechnen müssen – oder aber nur ihre Muskeln zucken, um zu sehen, wie weit es der kleine Partner gehen läßt. Schließlich mußten die Grünen die Erfolge bei der Reform der Staatsangehörigkeit teuer erkaufen. Denn es wird vorerst kein Einwanderungsgesetz geben, ebenso keine Neuregelung des Ausländergesetzes, kein Niederlassungsgesetz, das die Gleichstellung von Drittstaatlern mit EU-Bürgern regelt. Wie weit werden sie ihren großen Partner gehen lassen, damit sie den Rest an Glaubwürdigkeit, der ihnen noch bleibt, behalten? Eindeutig ist: Ein Wandel in den Köpfen benötigt mehr als nur eine Gesetzesänderung. Özcan Mutlu, Berlin-Kreuzberg

Neue Gerechtigkeit à la SPD?

betr.: „Ökosteuerdebatte mit skurrilen Zügen“ von Matthias Urbach, taz vom 21./22. 11. 98

Es ist zu begrüßen, wenn über die Verteuerung von Energie und dem damit verbundenen Sparzwang die Natur, unser Lebensraum, erhalten werden soll und gleichzeitig durch Verbilligung der Arbeit neue Arbeitsplätze geschaffen werden können. Große Teile der Industrie werden ausgenommen. Für den durchschnittlichen Normalverdiener werden durch Steuersenkungen die anfallenden Zusatzkosten mehr als ausgeglichen.

Doch die in der Vergangenheit durch laufende finanzielle Kürzungen drangsalierten Arbeitslosen, Sozialhilfeempfänger, Rentner, Pflegebedürftige, Studenten, Auszubildende, Minderverdiener ohne Lobby, die keine Steuern zahlen, haben keinen entsprechenden Ausgleich. Ihr Realeinkommen sinkt weiter. Auf ihrem Rücken wird ein erheblicher Teil der Ökosteuerreform finanziert. Hinzu kommen dann Preissteigerungen für den täglichen Bedarf.

Ist das das neue Gerechtigkeits- und Solidaritätsverständnis der SPD? [...] Joachim Rauchmann, Berlin

Von wegen Scheitern als Chance

betr.: „Schau mir in die Augen“ (Dopingurteil in Sachen Thomas Ernst), taz vom 19. 11. 98

Entgegen den üblichen Dementis hat Thomas Ernst weise geschwiegen. Nicht nur weil er zur Intelligenzija seiner Spezies zählt, sondern er zu dopen nicht die Absicht hatte. Aus sportmedizinischer Sicht hat das Doping eines Torhüters ohnedies erschreckend wenig Sinn. Wenn, wie im vorliegenden Fall, ein dilettierender verantwortungsloser Arzt trotzdem ein solches induziert, so entspringt dies einer in unserer Gesellschaft weitverbreiteten Mentalität: Nehmen nicht auch wir bei Kopfschmerzen Aspirin, damit's weitergehe, immer frisch ans Werk. Von wegen Scheitern als Chance.

Wird Doping mit der nicht an die Heilung einer Krankheit gekoppelten Einnahme pharmazeutischer Präparate definiert, so müßten etliche Bibliotheken geschwärzt werden, deren Entstehen einem subpathologisch erhöhten Alkoholspiegel zu verdanken ist; von der Beschlagnahme sämtlicher Pop- und Rockmusik-Tonträger ganz zu schweigen.

Vielleicht ist es hilfreich, die südafrikanische Etymologie des Dopings zu Rate zu ziehen, die da meint, „hinters Licht zu führen“. Es ist wohl die mangelnde Fähigkeit der Menschen, mit unseren begrenzten Möglichkeiten zufrieden zu sein. Oft ist von Dopingsündern die Rede: Wenn das kein Zeichen ist, endlich von diesem blödsinnigen Betrug abzusehen. Jost Harzer, Wiesbaden

Die Redaktion behält sich den Abdruck sowie das Kürzen von Briefen vor. Die auf dieser Seite erscheinenden LeserInnenbriefe geben nicht notwendigerweise die Meinung der taz wieder.

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