: Codierte Lovesongs
■ Set me free (why don't you?): Beispiele aus Südafrika, Schweden und Afghanistan bei der Konferenz über "Musik & Zensur" in Kopenhagen
Weltweit müssen viele Musiker schweigen. Doch die Gedenkminute für den algerischen Sänger Lounés Matoub, der vor kurzem von 78 Kugeln getötet wurde, trieb einigen der Anwesenden der „ersten internationalen Tagung über Musik & Zensur“ Tränen in die Augen. Schweigen als Ausdruck der Stärke. Direkt zuvor war ein zwei Jahre altes Videointerview zu sehen gewesen, in dem Matoub von der permanenten Bedrohung redete, der er ausgesetzt war.
Die Konferenz fand auf Einladung der dänischen Human- Rights-Vereinigung in Kopenhagen statt. Etwa ein halbes Hundert Referenten — Musiker, Musikologen und Bürgerrechtler — und ebenso viele Pressevertreter aus aller Welt sorgten für ein kommunikationsfreudiges Wochenende. Hier kamen Überzeugungstäter zusammen, die diverse Lieder von der Zensur singen konnten.
„Seit 50 Jahren gibt es die Charta der Vereinten Nationen. Aber erst hier und heute reden wir über Musik als Menschenrecht. Dabei ist Musik doch das Herzstück kulturellen Ausdrucks“, so Ole Reitov. „Wir haben nicht das Ziel, hier eine Deklaration zu verabschieden. Wir wollen miteinander reden, wie Musiker und Bürger in ihren Ländern und Gesellschaftsformen mit Zensur umgehen. Uns geht es darum, Hoffnung zu stärken.“ Die Tagungsteilnehmer wurden zu Zeugen von Dutzenden, oft erschütternden Berichten aus Mauretanien, über die Zensoren des BBC während des Golfkriegs, aus Zaire, Sudan, Argentinien, Palästina, christlichen Fundamentalisten in den USA und anderswo.
Der südafrikanische Gitarrist Ray („Graceland“) Phiri traf dabei zum ersten Mal auf seine ehemalige Zensorin Cecile Pracher. Sie berichteten von Bandmitgliedern, die als Spione arbeiteten, von zensierten LPs und durch Polizeigewalt beendete Konzerte. Die Musikzensur wurde nie begründet, sie hing vom Paranoiagrad der Zensoren ab. Grundsätzlich aber reichte die Erwähnung des Namens „Mandela“ oder Reizworte wie „Freiheit“, um Schwierigkeiten mit den Autoritäten zu bekommen. Nicht die Kreativität wurde zensiert, sondern eine Ideologie. Pro Jahr erschienen in Südafrika etwa 400 LPs, und es gab Wochen, in denen 15 Lieder verboten wurden. Ray Phiri weiß bis heute nicht, warum einige seiner Platten vom Markt genommen wurden.
Die Musiker codierten die Texte oder wurden dreideutig. Formulierungen wie „Set me free“ wurden in Liebeslieder verpackt; jeder Zuhörer wußte, was damit gemeint war. Phiri: „Musik kommt der Religion am nächsten. Wir brauchten Visionen, aber uns wurde das Recht auf Visionen genommen, genauso wie das Recht, uns musikalisch auszudrücken.“ Viele Musiker gingen ins Exil. Ein schmerzhafter Schritt, denn, so Phiris Kollege Sipho Mabuse: „Wir spielen doch für die Community, nicht für den Staat.“ Musik wurde zum Schmuggelgut. Außer für die Zensoren, denn diese nahmen die zensierten Scheiben mit nach Hause und hörten sie dort, wie Frau Pracher zugeben mußte. Die Zensur brachte im Endeffekt nichts. Sie verzögerte vielleicht die Wende, aber die Musik ließ sich nicht unterdrücken. Heute gibt es keine Musikzensur mehr in Südafrika.
Eine Musikzensur ist jedoch nichts, verglichen mit den heute radikalsten Musikfeinden, den Taliban in Afghanistan. Dort wurde innerhalb weniger Jahre eine blühende, alte Musikkultur vernichtet. Sänger dürfen nicht mehr singen, Frauen allemal nicht. Musik ist, bis auf ein paar wenige Taliban- Propagandasongs, grundsätzlich verboten, Instrumente ebenfalls. Dieses Verbot scheint in den großen Städten absolut konsequent durchgezogen zu werden. Auf dem Land kommt es manchmal, hinter verschlossenen Türen, zu musikalischen Events, zum Beispiel bei traditionellen Hochzeiten, bei denen Musik schon immer eine herausragende Rolle spielte. Wird so ein „Underground-Konzert“ jedoch den Taliban bekannt, inhaftieren sie das Familienoberhaupt und bestrafen, das heißt prügeln, ihn. Hier handelt es sich nicht mehr um Zensur, sondern um den totalen Bann jeglicher Musik — eine Art kulturellen Genozid, wie es ihn in der jüngeren Geschichte schlimmstenfalls während der Kulturrevolution in China und Kambodscha gab.
Es wäre zu einfach, in den Musikern weltweit nur Opfer zu sehen. Musik ist ein starkes Symbol des Widerstands, subversiv oft bis zum letzten Ton. Auf der anderen Seite kann jemand, der liberal jegliche Musikzensur untersagt, in ein moralisches Dilemma kommen, wenn er zum Beispiel mit schwedischer Hate-Music konfrontiert wird. Dabei handelt es sich um sogenannte „White Noise“-Music, in der es um die totale Herrschaft der reinen Weißen geht. Verpackt wird die Botschaft in jegliche aktuelle Musikströmungen: Rock, Punk, Rap... Verbieten? Nein, meinten die meisten Anwesenden. Da müssen notfalls bestehende Gesetze gegen Rassismus ran. Hate-Music sollte in den Schulen gespielt werden, denn was Kids in der Schule hören, verliert an Rebellpotential.
Dabei geraten gerade die Musikmultis heftig in die Kritik. Nicht nur Diktatoren und Fundamentalisten bestimmen, welche Musik gespielt oder unterdrückt wird. In Demokratien üben die großen Plattenfirmen eine ökonomisch getarnte Zensurfunktion aus. Musiker werden unter Vertrag genommen und dann mit dem Argument „Was du uns hier anbietest, ist nicht kommerziell genug“ gezwungen, nach der Pfeife ihrer Geldgeber zu tanzen. Jeder Musiker, der diese Hürde genommen hat, ist anschließend vom Marketing und den Medien (Ray Phiri: „Ein siebenköpfiges Monster!“) abhängig, damit seine Musik beim Publikum ankommt.
Es wurde nicht nur debattiert. Nach dem gemeinsamen Abendessen kam es zu einem panafrikanischen Spontankonzert: Ray Phiri & Sipho Mabuse aus dem Süden, Ray Lema aus Zentralafrika und Malouma aus dem Norden übertrumpften sich in komplizierten Rhythmen und fanden doch genügend Spielraum für gemeinsames Musizieren. Der Höhepunkt: Eine der beiden jungen dänischen Köchinnen der Tagung setzte sich in die Musikerrunde, griff sich eine Trommel und legte vehement los. Die Partystimmung stieg: die Amerikaner sangen „Summertime“, die Dänen, die Schweden und einige andere gaben eigene Lieder zum besten. Nur der Deutsche zensierte seinen eigenen Beitrag zum Wohle aller. Zensur kann, in seltenen Fällen, auch etwas Positives haben. Werner Pieper
Zum Thema erschien eine Ausgabe von „Index on Censorship“. Dieses Buch wird im Frühling, erweitert durch Beiträge der Tagung u.a.m., in der Edition „Grüner Zweig“ in deutsch erscheinen
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