Der Ehrliche zahlt doppelt

■ Wer 1997 sein Krankenhaus-Notopfer nicht zahlte, hat 20 Mark gespart. Kassen klagen nicht

Berlin (taz) – „In eine blöde Situation sind wir mit dem Notopfer reingeraten“, sagt Klaus Kirschner, Vorsitzender des SPD-Gesundheitsauschuß. So kann man es auch sagen. Wer das Krankenhaus-Notopfer 1997 nicht gezahlt hat, darf sich freuen. Er wird voraussichtlich nicht von den Kassen belangt werden. Bei einigen gesetzlichen Krankenkassen haben bis zu 20 Prozent der Mitglieder die 20 Mark nicht überwiesen.

Daß das Geld ausbleibt, findet Gerda Strack, Pressesprecherin des Bundesverbandes der betrieblichen Krankenkassen (BKK), „höchst ärgerlich“. Insgesamt 88 Millionen sollten die Betriebskrankenkassen 1997 eintreiben, nun fehlen immerhin 17,6 Millionen Mark. „Das Geld jetzt noch einzuklagen, macht ökonomisch keinen Sinn“, sagt Strack. „Die Ehrlichen sind nun die Dummen“, sagt Strack. Ursprünglich planten die Betriebskrankenkassen den Nichtzahlern erst ab 60 Mark, also nach drei Jahren, gerichtlich auf die Pelle zu rücken. Nun will die bündnisgrüne Gesundheitsministerin Andrea Fischer das Notopfer für 1998 und 1999 aussetzen. Nur für 1997 die vielfach nicht gezahlten 20 Mark einzutreiben, lohnt sich für die Krankenkassen nicht. Zu hoch wäre der Verwaltungsauswand.

Die SPD sieht keinen Bedarf, Boykotteuren gesetzlich beizukommen. Auch die Opposition bleibt ruhig. Alles sei geregelt, heißt es im gesundheitspolitischen Referat der FDP. Am 18. Dezember soll das „Gesetz zur Stärkung der Solidarität in der gesetzlichen Krankenversicherung“, welches das Notopfer aussetzt, vom Bundesrat verabschiedet werden. Eine eigene, allgemeinverbindliche Regelung für die Nichtzahler, so SPD- Experte Kirschner, stehe nicht zur Debatte: „Die Kassen haben für 1997 pauschal 1,1 Prozent von ihren Gesamteinnahmen an die Krankenhäuser zur Instandhaltung überwiesen. Wenn sie das Geld nicht einklagen, müssen sie es aus dem eigenen Budget zahlen.“ Im Gesundheitsministerium rechnet man mit einem Defizit der gesetzlichen Krankenkassen aufgrund der Ausfälle zwischen 160 und 200 Millionen Mark.

Laut Kirschner liegt die Entscheidung, ob die Kassen rechtlich auf das Geld verzichten können, bei den zuständigen Rechtaufsichtsbehörden. Das Bundesversicherungsamt, das über die Finanzen von Ersatzkassen und Betriebskassen wacht, will auch nicht tätig werden. Man werde die Aspekte der Wirtschaftlichkeit zwar prüfen, sagt Pressesprecher Joachim Wahle. „Letztlich sind die Kassen jedoch selbst verantwortlich für ihre Finanzen.“

Wenn die Kassen das Notopfer für 1997 nicht mehr eintreiben, finanzieren diejenigen, die bereits überwiesen haben, die Nichtzahler auch noch mit. Der Ehrliche zahlt doppelt. Jörg Bodanowitz, Pressesprecher der Deutschen Angestellten-Krankenkasse (DAK), kritisiert das unsolidarische Verhalten der Boykotteure. Allerdings will auch die DAK nicht gerichtlich gegen sie vorgehen. „Rund zehn Prozent unserer Mitglieder haben in der Vergangenheit nicht gezahlt“, sagt Bodanowitz. Anfang dieses Jahres hat die DAK die letzte Zahlungserinnerung an die Säumigen geschickt, allerdings ohne ihnen eine Frist zu setzen. Bodanowitz hatte auf eine gesetzliche Lösung gehofft. „Nun werden die Spitzenverbände der gesetzlichen Krankenkassen sich wohl im nächsten Jahr zu einer einheitlichen Vorgehensweise entscheiden“, sagt er. Wie eine Lösung aussehen könnte, sei völlig unklar. Die DAK wolle nicht in den Verruf geraten, die einzige Eintreiberin zu sein.

Auch beim Bundesverband der Allgemeinen Ortskrankenkassen will man die Absprache der Spitzenverbände abwarten. Mahnungen für 1997 sollten gemeinsam mit der Zahlungsaufforderung für 1998 verschickt werden. Das wird jetzt nicht geschehen. Nur bei der AOK in Schleswig-Holstein hatte man das Notopfer für 1998 voreilig eingetrieben und steht jetzt vor einem Problem: 70.000 Mitglieder warten nun auf die Rückerstattung. Tina Hüttl