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Lieber weiches Geld als gar keins

■ Die Quote ist beim Fernsehen alles, aber was ist die Quote? Nicht mal die Kontrolleure, die mittels der Zahlen auf die Medienkonzerne aufpassen sollen, wissen, ob sie ihnen trauen sollen

Die Stunde der Wahrheit kommt jeden Tag so gegen elf Uhr. Dann werden die sogenannten „GfK-Zahlen“ Deutschlands Fernsehgewaltigen überspielt – das, wofür und wovon sie leben: Die Quoten. Mit ihnen fängt bekanntlich alles an beim Fernsehen und vor allem endet es mit ihnen ziemlich schnell. Keine kulturpessimistische Klage übers Fernsehen keine wohlfeile Entschuldigung mäßiger TV-Macher geht ohne sie: Die Quotenjagd (schrecklich!); der Quotendruck (mörderisch!).

Alles ist Quote, auch wenn die Quote eigentlich willkürlich ist. Wenn zum Beispiel von elf Leuten zehn eine einstündige Kultursendung auf Arte gucken, einer aber den ganzen Tag nebenher RTL laufen läßt, dann vermeldet die Quote RTL als klaren Marktführer.

Was also ist die Quote? Und wo kommt sie eigentlich her? Erst einmal kommt sie aus einem kleinen schwarzen Kasten, den die Nürnberger „Gesellschaft für Konsumforschung“ (GfK) im Auftrag der Fernsehsender 5200 (angeblich repräsentativen) Haushalten auf den Fernseher gestellt hat. Der speichert alles, was in die Fernbedienung eingegeben wird und funkt es an einen Rechner in Nürnberg. Dabei muß sich allerdings jedes Familienmitglied ab drei Jahren eigens einchecken, wenn es sich vor dem Bildschirm setzt. Derlei Umständlichkeiten und einige manifeste Einwände ändern nichts an der Magie der Zahlen aus den 5.200 Kästen: Sie scheinen bislang so wahr, als wären sie ein himmlisches Orakel.

Die Sucht der Fernsehmacher nach den Zahlen ist nur logisch: Erstens ist das Fernsehen ein Massenmedium, und wenn es keine Massen erreicht, hat es etwas falsch gemacht. Zweitens lebt das Fernsehen (jedenfalls das private) von Werbung und die Werber wollen genau wissen, wieviel Leute ihre Spots erreichen – mehr Quote heißt mehr Knete. Darum nennen Werber und Sender die Quote ihre Währung. Und die GfK-Währung lebt wie manch monetäre Währung von mehr oder weniger ungedecktem Vertrauen in sie – weil die Beteiligten froh sind, irgendwelche Zahlen zu haben. Jeder glaubt an die Zahlen, weil jeder an sie glaubt: „Wir brauchen eine allgemeingültige Währung“ beschwört Christian Cuntz, vom Gesamtverband der Werbeagenturen das System.

Auf einmal aber geht es den Sendern und Werbern und den Firmen die mit dem 35-Millionen Mark teuren GfK-System Geschäfte machen, mit ihrer Währung ein bißchen wie den Anbetern der D-Mark: Sie haben Angst vor einer anderen Währung

Denn seit Anfang des Jahres ist die Quote nicht mehr nur ein selbstgezimmerter Fetisch der Fernsehleute, sondern quasi gerichtsnotorisch. Für die Kontrolle, ob ein Medienkonzern eventuell zuviel Meinungsmacht hat, ist die Quote seitdem nämlich Dreh- und Angelpunkt: Erst ein Konzern, der mit seinen Sendern dauerhaft eine Quote von 30 Prozent erreicht, so legten es die Bundesländer (äußerst großzügig) fest, hat zuviel Macht. Außer, der Konzern hat wie zum Beispiel Bertelsmann oder Kirch auch noch jede Menge Beteiligungen bei Zeitschriften, Filmrechten oder TV-Produktionen. Dann darf die eigens gegründete Kommission KEK („Kommission zur Ermittlung der Konzentration“) eventuell auch schon mal bei 28 Prozent nachgucken – so klar ist das aber alles nicht. Und man streitet sich noch heftig. Zudem muß man dem Konzern das Ganze erst einmal beweisen. Und es ist die Frage, ob dafür die GfK- Zahlen, die von den Kontrollierten selbst bezahlt werden, das Richtige Mittel sind. Daher hatte die KEK am Dienstag jede Menge Fernsehforscher und Quotenmesser nach Potsdam geladen, um zu gucken, was es so alles sonst noch gibt in der Welt der Zuschauermessung. Denn nächstes Jahr soll die offizielle gerichtsbeständige Quotenmessung europaweit ausgeschrieben werden – und dann von den Zuschauern aus einem Rundfunkgebührentopf der Landesmedienanstalten bezahlt. Ob die bisherigen Monopolquoten vor Gericht Bestand haben ist zumindest fraglich, so viele Schwächen, wie ihnen vorgeworfen werden: Wer die Fußball-WM anderswo als auf seinem heimischen Sofa verfolgte, tauchte etwa in der Quote nicht auf – die GfK mißt nur Fernsehgucken zu Hause. Auch die knapp zehn Prozent der Bevölkerung, die keinen deutschen Paß haben, kommen in den GfK-Zahlen bislang nicht vor. Und wenn ein einzelner GfK-Haushalt in Hamburg den Lokalsender HH 1 einschaltet, so unkt ein Konkurrent, dann hat der Sender, der meist bei einstelligen Prozentzahlen im unteren Bereich herumkrebst, plötzlich 0,5 Prozent mehr. Besonders Kleine Sender beschweren sich, sie kämen bei der GfK zu schlecht weg.

Also wäre das Zahlenbedürfnis der Medienkontrolleure eine treffliche Gelegenheit, ein neues System zu installieren. Doch was die Welt der Fernsehmessung zu bieten hat, war von den Demoskopen und Meinungsforschern und Technikern, die sich die Kontrollkommission am Dienstag anhören wollte, nicht so recht erfahren. Erst einmal waren nur einige wenige Forscher von allenfalls halbwegs bekannten Instituten der Einladung gefolgt und ließen sich routiniert über statistische Prämissen aus („Wir brauchen die Definition der Tätigkeit Fernsehen), daß sie ganz vergaßen, zu sagen, was sie denn anderes als die GfK zu bieten haben. Einer will die Daten über die Stromleitungen schicken (aber welche?). Ein anderer will alle Messungen nebeneinander stellen und daraus einen plausiblen Mittelwert errechnen (aber welche Messungen, wenn es nur eine gibt). Und Michael Darkow von der GfK setzte der Kritik an seinem System entgegen, es sei schon „das beste der Welt“: „doppelte Datenproduktion!“; „zweigleisige Berichterstattung“! Da verzweifelten selbst KEK-Mitglieder wie Peter Mailänder: „Was wir wollen, ist ja etwas ganz Banales“, rief er mit gequälter Stimme zum Podium hinauf, „wir wollen ja nur die Zuschaueranteile“. Verständnislose Blicke von den TV- Forschern oben.

Alle Zahlen, erfährt, wer ihnen dann noch ein bißchen zuhört, sind irgendwie gelogen. Oder, wie NRW-Medienwächter Norbert Schneider verzweifelt mutmaßte, es ist „schon so kompliziert, daß man Aussagen jenseits der Willkür gar nicht treffen kann.“ Keine Zahlen, keine Kontrolle: Die Kirch-Gruppe zankte sich z.B. unlängst mit der KEK wegen einiger (von der GfK gemessener) Zehntelprozente. Das Ergebnis war ein Verfahren, das wohl im Sande verlaufen wird. Ebenso wie die meisten anderen Untersuchungen der Medienwächter gegenüber Konzernen nach dem alten Recht, das die 30-Prozent Regelung ersetzt hat. Angeblich wegen größerer Einfachheit und Klarheit. Lutz Meier

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