: Gebärden statt Töne
■ Der ganze Körper ist ein Instrument: Das erste „Gehörlose Musik“-Festival im Prater
„Musik wird oft nicht schön gefunden, weil sie stets mit Geräusch verbunden“, sagte Wilhelm Busch einst – und irrte sich. Kaum übliche Musik-Geräusche, dafür aber getanzte Klänge, visuelle, räumliche, laut- und körpersprachliche Musik für Gehörlose und Hörende werden beim ersten „Gehörlose Musik“-Kongreß zu, ja, was denn, hören sein? Das auch.
Extrem tiefe, fühlbare Baßfrequenzen zum Beispiel hatte Berlins originellste Kunstband „Die tödliche Doris“ in den 80ern in Zusammenarbeit mit gehörlosen Freunden auf ihre Schallplatten gepreßt. Elfenguru und Ex-Doris- Mitglied Wolfgang Müller schwört noch immer auf das Konzept, Musik gleichermaßen für Hörende und Gehörlose konsumierbar zu machen: Er läßt die Stücke der ersten Doris-LP beim Berliner Kongreß von zwei Gebärdendolmetscherinnen simultan übersetzen. Dabei wird daraus ein Video ohne Ton, quasi eine unhörbare Neuauflage der vergriffenen Platte.
Eine schwerhörige Tänzerin und sieben gehörlose DarstellerInnen berichten in Helmut Oehrings Stück „Acht“ aus der „Zwischenwelt“ der Gehörlosen: „Der ganze Körper ist ein Instrument“, sagt die Solo-Tänzerin Tatjana Orlob, „ein Zehenwackeln oder eine Drehung mit dem Kopf verändern das Verhältnis der einzelnen Glieder, der Bewegungen damit zur Körperspannung.“ Statt Wiederholungen von Tönen oder Tonsequenzen werden Gebärden wiederholt, statt sich reimender Texte reimen sich Bewegungen. Anstatt Gehörlosen Musikverständnis abzusprechen, anstatt sie zu veranlassen, sich der hörenden Mehrheit „hörbar“ verständlich zu machen, versuchen die Veranstalter, in die stille, aber darum nicht ruhige Welt der Gehörlosen zu entführen. „Man sieht die Behinderung nicht, wie eine dicke Brille oder ein kaputtes Bein“, sagt eine schwerhörige Darstellerin, „aber die Welt der Gebärdensprache ist sehr fragil und sehr komplex.“ Die Abenteuerlust der Künstler macht neugierig.
Daß der unwissende hörende Zuschauer dabei auch noch in den Genuß verschiedener Dialekte der deutschen Gebärdensprache, denn auch das gibt es, kommen kann, ist ein subtiler Nebeneffekt: Ob gehörlosen Bayern auch ewig ihre Herkunft anhängt, so wie den Mundart-Bazis, denen nach 15 Jahren Norddeutschland immer noch hin und wieder ein „Pfürti!“ aus der „Goschen“ hupft? Jenni Zylka
Fr. und So. ab 21 Uhr, Sa. ab 23 Uhr, Prater, Kastanienallee 7–9
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