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Ein Hauch Paulskirche in Dahlem

Der türkische Schriftsteller und Friedenspreisträger Yasar Kemal erhielt die Ehrendoktorwürde der Freien Universität und kritisierte die Bonner Türkeipolitik  ■ Aus Berlin Ralph Bollmann

Es war keine leichte Aufgabe für Freimut Duwe (SPD). Der Publizist und OSZE-Medienbeauftragte hielt gestern die Laudatio auf den türkischen Schriftsteller Yasar Kemal, den die Freie Universität Berlin zum Ehrendoktor ernannte. Unweigerlich mußte er sich an einem anderen Lobredner messen lassen: Als Kemal vor etwas mehr als einem Jahr in der Frankfurter Paulskirche den Friedenspreis des deutschen Buchhandels erhalten hatte, nutzte Günter Grass die Gelegenheit zu einer Generalabrechnung mit der damaligen Bundesregierung. Tags darauf füllte das Lob für den letzten engagierten Intellektuellen ebenso die Zeitungsspalten wie die Kritik des CDU-Generalsekretärs, der Grass auf einem „intellektuellen Tiefstand“ angekommen sah.

Gestern war alles ein wenig bescheidener. Weil die Freie Universität im Berliner Stadtteil Dahlem in der kommenden Woche 50 Jahre alt wird, verteilt sie die Ehrendoktorwürden derzeit am laufenden Band. Vergangene Woche der Semiotiker Umberto Eco bei den Romanisten und der Komponist Wolfgang Rihm bei den Musikwissenschaftlern, diese Woche Yasar Kemal bei den Politologen, nächste Woche der neoliberale Wirtschaftsguru Paul Krugman bei den Ökonomen – um nur die prominentesten Namen aus der Promotionsliste zu nennen.

Die Hochschule versucht auch gar nicht zu verhehlen, daß sie mit den Urkunden vom Fließband weniger die frischgebackenen Doctores honoris causa als sich selbst ehren will. So gratulierte auch Kemal zuerst der Universität und bedankte sich erst dann für die Auszeichnung. Auch Laudator Duwe begann seine Rede mit ein paar pathetischen Worten zum Jubiläum. „Die Freie Universität“, sagte er, „hat ihren Anteil daran, daß unser Land sich wirklich und wahrhaftig zu einer Demokratie hat entwickeln können.“

Doch dann knüpfte Duwe elegant die Verbindung zum Geehrten: Schließlich hätten auch in Deutschland Schriftsteller – nicht zuletzt Grass – ihren Anteil an der demokratischen Läuterung, obendrein verpflichte die NS-Vergangenheit die Deutschen zu einem besonderen Engagement für die Menschenrechte. „Wir gehörten damals nicht zu Europa“, sagte Duwe in Anspielung auf den Streit um die türkische EU-Mitgliedschaft. Doch während die Türkei einerseits deutschen Emigranten politisches Asyl bot, wurde andererseits der damals 16jährige Kemal 1939 zum ersten Mal verhaftet.

Der Konflikt mit seiner gleichaltrigen „Lebensbegleiterin“, der Türkischen Republik, sollte den 1923 geborenen Kemal den Rest seines Lebens begleiten. Vor allem die Unterdrückung der Kurden prangerte der Schriftsteller, selbst kurdischer Abstammung, immer wieder an. Gleichzeitig mahnte Duwe in seiner Laudatio die Kurden davor, ihrerseits andere Minderheiten zu unterdrücken. Es gehe „um den Bürger“, nicht um die Gründung neuer Staaten.

Der Geehrte bedankte sich zunächst scheinbar unpolitisch mit einem kurzen Exkurs zur Geschichte der türkischen Literatur. „Jeder Mensch ist ein Fisch im Wasser der Politik“, leitete er dann doch vom Literarischen zum Politischen über. „Weil Deutschland selbst so viel Leid erfahren hat“, knüpfte er an Duwes Gedanken an, „müßte es uns von allen Ländern auf der Welt am meisten unterstützen.“ Also doch: Ein Hauch von Frankfurt wehte durch den Hörsaal.

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