: Großaufnahme Nagezahn
■ „Ratten“ ist kein Tierfilm, sondern eine Collage der Rattenangst (22.15 Uhr, Arte)
Faszination und Grauen, düstere Kulissen, Müllkippen, dramatisches Getrappel und Gequietsche. Das war zu erwarten. Der Dokumentarfilm der beiden Autoren Enno Hungerland und Volker Anding heißt schließlich „Ratten“. Ein Tierfilm – vielleicht über das Leben wilder Wanderratten – ist es nicht geworden. Eine Kulturgeschichte der Ratten aber auch nicht.
Meist wieseln die Ratten unspezifisch durch den Abfall, wechselweise in Venedig, Paris und Wuppertal. Und manchmal sind sie in wunderbar langer Einstellung zu sehen, wenn sie fressen oder sich putzen. Großaufnahme Nagezahn. Eigentlich aber handelt der Film vom Menschen und seinem Verhältnis zur Ratte. Und das ist eben ein gebrochenes. Ein Angstforscher mutmaßt über menschliche Assoziationen von Dunkel- und Hilflosigheit, von schnellen Bewegungen, nackten Rattenschwänzen. Da ist das Kind im Keller, das von Ratten gefressen wurde, nicht weit. Eklig schimmeln die von Menschen geschaffenen Biotope des Kulturfolgers Wanderratte – Kanalisationsrohre und Müllsäcke. Aber: „Ratten sind von Natur aus sauber. Dreckig werden sie erst durch die Zivilisation.“ Das gibt zu denken. Wer wird überleben, Ratte oder Mensch?
Die Ratte ist Projektionstier menschlicher Endzeitphantasien. Dem sind auch die Filmer mit ihrer Collage der Rattenfurcht nicht entronnen. Der Düsseldorfer Museumsdirektor Wolfgang Walter Gettmann legt nach. Die „faszinierenden Tiere“, unspezialisiert, anpassungsfähig, „können fast alles“ außer Lesen und Schreiben. Ratten sind überall. Ein italienischer Rattenbekämpfer läßt sich das angelegen sein und serviert dem Autorenteam genüßlich seine Köder: fette Würstchen für deutsche, Pizza für venezianische und Popcorn für New Yorker Ratten.
Ein roter Faden zieht sich 90 Minuten lang wie ein Rattenschwanz durch den Film: Was ist eigentlich ein Rattenkönig? Das Rätsel bleibt. Aber eines lernen wir von denen, die Ratten im Labor, auf dem praktischen kleinen Ratten- Operationstisch auseinandernehmen: „Eine Ratte kann niemals ein Mensch sein.“ Heide Platen
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