: Zwitterliteratur
■ Zwei mehr oder weniger gelungene Versuche, die soziale Marktwirtschaft und Schachspielen ans Kind zu bringen
Es ist es sehr schwer, aus dem Thema „Marktwirtschaft“ Literatur zu machen. Auch wenn es sich hierbei nur um Jugendliteratur handelt, die eh schon den schlechten Ruf hat, gesellschaftliche Probleme belehrend und erbaulich zwischen Buchdeckel zu pressen. Nikolaus Piper hat es mit seinem Roman „Felix und das liebe Geld“ versucht, und er ist damit meiner Meinung nach gescheitert. Zu durchsichtig ist das Strickmuster: Man nehme den kleinen Leitfaden „Marktwirtschaft für Anfänger“, dazu noch ein Wollknäuel krimineller Energie in Form von Anlagebetrügern, plündere den Erinnerungskorb der eigenen Umgebung und schaffe daraus ein Hochglanzprodukt, bei dem auch keine einzige Masche gefallen sein darf.
Zu durchsichtig der Dreh mit dem konstruierten Helden, dem zwölfjährigen Felix, dessen sehnlichster Wunsch es ist, reich zu werden. Da er in der Schule gut genug ist, kann er sich das ausgiebig leisten. Dazu einen praktisch veranlagten Freund, der auch reich werden will – sogar mit Motiv: „Mädchen mögen reiche Jungs“. Von Forellendieben entwickeln sich die beiden Burschen schnell zu Jungunternehmern im Dienstleistungssektor – sie besitzen das Monopol fürs Rasenmähen im Heimatstädtchen – und treffen dabei glücklicherweise auf Adam Schmitz, der eingedeutschten Variante eines in Fachkreisen nicht ganz unbekannten Wirtschaftstheoretikers. Im Buch ist er Saxophonist, Musikalienhändler und zum Glück studierter Volkswirt wie der Autor. Er wird wirtschaftlicher Berater des Duos, das sich im Laufe des Buches zum Quartett entwickelt und übernimmt die Rolle des Lehrers für die Leser.
Natürlich darf bei solch einem Buch Political Correctness nicht fehlen. Schließlich sind wir beim Beltz&Gelberg Verlag und der Autor bei der Süddeutschen Zeitung: Die Marktwirtschaft ist sozial und ökologisch. Der Papa unseres Helden ein feiger Wirtschaftsredakteur, der Flüssetötendes nicht anprangern darf, weil die Zeitung von den Anzeigenkunden lebt, oder besser: an den Anzeigenkunden stirbt, was unseren Papa den Job kostet. Er wird zum Opfer des Konzentrationsprozesses im Verlagswesen. Da hätte er auch mehr Mut zeigen können, aber das eigene Haus war noch nicht abgezahlt. Natürlich gibt es ein Happy- End. Ich schreibe nur eins: der gute Onkel aus Amerika, von den Nazis vertrieben...
Das Buch ist trotzdem lesbar, bringt einige wirtschaftliche Erkenntnisse an die Jugendlichen und manchmal Spannung, aber es ist mehr Sachbuch als Literatur, und der erhobene Zeigefinger des Lehrers schimmert doch immer unangenehm durch.
Nach meinen Erfahrungen mit Felix, der mir beim Lesen doch einige Mühen bereitete, hatte ich mächtig Scheu vor dem zweiten „Sachbuch“, einem Schachbuch, das auf meinem Nachttisch lag: „Lang lebe die Königin“ von der Niederländerin Ema Lammers. Und als ich es mir dann endlich genommen hatte, war das Buch in einem Rutsch durchgelesen, so spannend, so aufregend, so ergreifend. Sara ist schlecht in der Schule. Sie hat einen Lehrer, der es gut mit ihr meint, aber pädagogisch eine Katastrophe ist. Sie hat eine Schulkameradin, die sie ständig hänselt, und sie hat eine Mutter, die ihr die Identität des Vater verschweigt. Die kleine Sara kämpft an vielen Fronten. Sara ist zäh, sie beißt sich durch und findet dabei ihre eigenen Wege. Das zählt zwar nicht in der Schule, aber im Leben. Auf einem dieser Wege trifft sie den gleichaltrigen Victor. Gemeinsam mit ihm lernt sie den Schulstoff, auch wenn es der Lehrer nicht merkt. Victor hat ein Leiden und eine Leidenschaft. Victor ist Epileptiker, und Victor spielt Schach. Schach wird das Spiel, das Sara magisch anzieht. Schach ist das Spiel, von dem sie ahnt, es könnte der Schlüssel zur Lösung ihrer Probleme werden. Schach begleitet sie in ihre Träume. Und wir dürfen sie in ihren Träume belauschen. Wir begleiten sie an die Höfe kriegerischer Könige, eitler Hofschranzen und kluger Königinnen. Belustigt folgen die Leser dem Versuch der Herrscherinnen, den blutigen Krieg in ein Spiel zu verwandeln. Ein Spiel, das der Etikette genügt, ein Spiel, das die Könige besänftigt, ein Spiel, das den Krieg beendet. Aber wer bestimmt die Regeln? Hier wird Sara gebraucht, sie kann das tagsüber Erlernte ins Traumkönigreich transportieren. Und mit den Höflingen lernen die Leser, ohne daß sie es merken. Parallel zur Traumwelt entwickelt sich die reale Welt dramatisch. Und als alle Welt durchs Fernsehen erfährt, welches Potential in Sara steckt, die „Feinde“ sich in Saras Glanz sonnen, blicken die TV-Zuschauer auf einen leeren Stuhl vor einem Schachbrett, und die Leser sitzen mit Sara bei ihrem kranken Freund Victor. Peter Huth
Nikolaus Piper: „Felix und das liebe Geld“. Ab 12 Jahre, Beltz&Gelberg, 28,80 DM
Ema Lammers: „Lang lebe die Königin!“ Ab 8 Jahre, Freies Geistesleben, 29,80 DM
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