piwik no script img

Rinks und lechts des Rheines

In der Auseinandersetzung mit dem hermetischen Antifaschismus ihrer Elterngeneration haben die französischen Nouveaux Philosophes der siebziger Jahre Marx vom Sockel gestoßen. Das haben ihnen die deutschen Intellektuellen bis heute nicht verziehen  ■ Von Ulrike Ackermann

Von der Notwendigkeit einer „Neubeseelung des deutsch-französischen Verhältnisses“ sprach der französische Staatspräsident Jacques Chirac, nachdem er Gerhard Schröder unmittelbar nach dem rot-grünen Wahlsieg in Paris empfangen hatte. Skeptisch beobachtet man nun aus Paris, wie es ein sozialdemokratischer Kanzler und ein grüner Außenminister Joschka Fischer mit den deutsch- französischen Beziehungen halten werden. Gleichsam als Pflichtlektüre wäre beiden Herren das gerade von Jürg Altwegg erschienene Buch über „Frankreich, Deutschland und die Rückkehr des Verdrängten. Die langen Schatten von Vichy“ zu empfehlen.

Der FAZ-Redakteur berichtet seit zehn Jahren über die Pariser Debatten und rekonstruiert in seinem neuen Buch die intellektuelle Nachkriegsgeschichte Frankreichs. In der Nachzeichnung der Ideenlandschaft und der höchst lebendigen Auseinandersetzungen der Pariser Intellektuellen in den letzten 50 Jahren stößt Altwegg immer wieder auf einen neuralgischen Punkt: die Verdrängung der faschistischen Vergangenheit und die langsame, in Schüben stattfindende Rückkehr des Verdrängten. Die Demütigung angesichts der Niederlage Frankreichs im Jahre 1940 und die Scham im Hinblick auf die Kollaboration mit den Nationalsozialisten in den darauffolgenden Jahren wurden nach dem Krieg von einem neuen Mythos ersetzt: identitätsstiftend für den Neuanfang, propagierten Gaullisten und Kommunisten als innenpolitische Kriegsgewinner gleichermaßen den Mythos der Résistance; Selbstfeier einer Nation, die ausschließlich aus Widerstandskämpfern bestanden haben sollte.

„Von allen nichtfaschistischen Staaten lud Frankreich die größte Mitschuld im Krieg auf sich – unterhielt aber auch die wichtigste Widerstandsbewegung. Und von den westlichen, den nichtsozialistischen Staaten unterlag es am stärksten dem Einfluß des Marxismus, kulturell wie politisch.“

„Jalta à la francaise“ nennt Altwegg die Aufteilung der Macht nach Kriegsende: die Gaullisten hatten sie politisch, die Kommunisten, zwar in Opposition, hatten sie im kulturellen Sektor errungen. Zwischen 1945 und 1946 verdoppelte sich die Zahl der Mitglieder der Kommunistischen Partei auf über eine Million; bei den Wahlen im November 1946 kamen die Kommunisten auf 28 Prozent der Stimmen. Die intellektuell-politische Landschaft der 50er und 60er Jahre stand auf seiten der Linken ganz im Zeichen des Antifaschismus, der auf die glorreiche Résistance rekurrierte.

Gepaart war dieses Diktum mit einem Revolutionsmythos, der in der Oktoberrevolution die Fortsetzung und Vollendung der Französischen erblickte. Waren die Pariser Intellektuellen – bis auf wenige Ausnahmen – während der deutschen Besatzung eher indifferent bis kollaborativ gestimmt, so kompensierten sie diese wenig rühmliche Haltung in der Nachkriegszeit um so vehementer mit einer radikalen: wild zogen sie gegen Antikommunismus, Kapitalismus und Bourgeoisie zu Felde.

Am Beispiel Sartres zeichnet Altwegg akribisch die Figur des politischen Intellektuellen nach, der in Werk und Person den in den 40er Jahren nicht geleisteten Widerstand gleichsam nachholte. Antitotalitäre Intellektuelle wie Raymond Aron, einst Studienkollege von Sartre, mit dem er später brach, kritisierten immer wieder diesen verspäteten Kult des Antifaschismus; Wahrzeichen einer politisch-kulturellen, linken Hegemonie, die bis 68 weitgehend ungebrochen blieb. Erst die Studentenbewegung, gleichermaßen eine Revolte gegen Kommunismus und Gaullismus, zertrümmerte den Résistance-Mythos. Aber auch hier, so Altwegg, kehrte das Verdrängte zurück: nun in der Form eines Widerstands, den die Elterngeneration während der Vichy-Zeit nicht oder nur ungenügend geleistet hatte.

Mit 68 kam jedoch auch eine antitotalitäre Tendenz ins politische Spiel, die ihren Höhepunkt in den Debatten über Alexander Solschenizyns „Archipel Gulag“ hatte. Marx gar selbst wurde in den 70er Jahren im Gefolge der Nouveaux Philosophes vom Sockel gestürzt.

Dies, so scheint es, haben die deutschen Intellektuellen den französischen Nachbarn bis heute nicht verziehen. Die deutschen Ressentiments klangen jüngst wieder in der aus Paris importierten Debatte über das „Schwarzbuch des Kommunismus“ an. Ähnlich wie anläßlich des Papon-Prozesses macht Altwegg in der französischen „Schwarzbuch“-Debatte eine Demarkationslinie zwischen Verdrängung und Erinnerung aus, die in Paris quer durch die politischen Lager und Parteien verlaufen ist: „Die Kriterien, an denen sich die Geister scheiden, sind die Einstellung zur Vergangenheit, das Bild von Deutschland und die Bereitschaft zur europäischen Integration.“ Jene, die der Vergangenheit ins Gesicht blicken, verfechten den europäischen Einigungsprozeß und hegen keinen Groll mehr gegenüber Deutschland. Frankreich nimmt heute mehrheitlich Abschied von der „exception francaise“, so Altwegg, und richtet seine Uhren nun nach der europäischen Zeit.

Die Nachbarnation, die in den letzten Jahren in einen mitunter recht selbstbezüglichen Erinnerungstaumel geriet, hat in ihren Medien erstaunlich ausführlich über die deutschen Umbrüche seit der Abwahl Kohls berichtet. Man ist wachsam gespannt auf Schröder, „L'Homme de la nouvelle Allemagne“, so das Titelblatt der Wochenzeitung L'Express. Ob Rilke-Rezitationen allerdings ausreichen werden, um Schröders euroskeptische Äußerungen aus Wahlkampfzeiten und sein Liebäugeln mit Großbritannien vergessen zu machen, bleibt abzuwarten. Allzu selbstbewußt trat der neue Kanzler nach seinem Sieg auf und hob die „deutschen Interessen“ hervor, die in Zukunft stärker zu vertreten seien.

Frankreich wünscht sich eine deutsche Außenpolitik, die der gewachsenen Rolle Deutschlands in Europa eher entspräche. Aus dem einstigen politischen Zwerg und ökonomischen Riesen ist ihm ein Nachbar erwachsen, dessen Macht und Einfluß jedoch für Paris kalkulierbar bleiben muß. Um so neugieriger und wohlwollender blickt man jenseits des Rheins auf Joschka Fischer, der für seine europäische Gesinnung und für die klare Absage an deutsche Sonderwege große Achtung genießt.

Jürg Altwegg: „Frankreich, Deutschland und die Rückkehr des Verdrängten. Die langen Schatten von Vichy“. Hanser Verlag, München 1998, 392 Seiten, 45 DM

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen