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Revolution auf der Tanzfläche

Keine Live-Musik auf dem Parkett: Mit fadenscheinigen Argumenten wird eine innovative Kür bei der Weltmeisterschaft in den lateinamerikanischen Tänzen sabotiert  ■ Aus Bonn Steven Uhly

Nach der Bonner Weltmeisterschaft in den lateinamerikanischen Tänzen könne man vielleicht von einer Revolution sprechen, hatten Ton Greten, Mary-Ann van Vliet und Benjamin Menezes vorher gesagt. Bis dahin bevorzugten sie jedoch den harmloseren Begriff „Weltpremiere“. Das holländische Tänzerpaar und der in Bonn lebende Percussionist aus Brasilien kamen vor zwei Jahren auf eine ganz besondere Idee: Anstatt „mit Plastik“ zu tanzen, wie Ton Greten die CD-Einspielungen nennt, zu denen sich die konkurrierenden Paare normalerweise drehen, wollten sie einen Musiker direkt auf die Tanzfläche stellen. „Live-Musik auf der Tanzfläche, das hat es im lateinamerikanische Tanz noch nie gegeben, das ist etwas absolut Neues“, sagt Ton Greten.

Sechsmal waren Greten und van Vliet bei einer Weltmeisterschaft dabei, viermal kamen sie bis ins Finale. Das diesjährige Turnier am letzten Samstag in der Bonner Beethovenhalle war jedoch ihr letztes, künftig werden sie nur noch professionell auftreten. Die Aussicht auf bezahlte Auftritte war aber nicht der einzige Grund für den Wunsch nach Veränderung: „Die europäischen Wettbewerbe im lateinamerikanischen Tanz sind altmodisch. Niemand traut sich, etwas Neues zu machen“, sagt Mary-Ann van Vliet. „Wir wollen die europäischen Stile wieder ein bißchen mit ihren Wurzeln zusammenbringen.“

Die Idee stammt von Benjamin Menezes. Der 26jährige Bahianer hatte in seiner Heimatstadt Salvador jahrelang bei der Mega-Band Olodum gespielt, bevor er nach Europa kam. Seit vier Jahren lebt er in Bonn und ist in Nordrhein- Westfalen mittlerweile ein Geheimtip unter Afro-Brasilian- Fans. Die Weltmeisterschaft in Bonn hätte also zu einem Heimspiel für Menezes werden können. Doch es kam ganz anders. Hatte Veranstalter Ralf Lepehne noch eine Woche zuvor gesagt, die Zeit sei reif für eine solche Neuerung, so sperrten sich Mitveranstalter Mathias Fronhof und „Individualator“ Oliver Wesselterhorn, eine Art Chairman, kategorisch gegen das Anliegen der Holländer. Menezes durfte weder auf die Tanzfläche noch erlaubte man ihm, sich am Rand aufzuhalten. Nicht einmal einen Sound-Check konnte er vor der ersten Runde machen. Als Begründung wurden Sicherheitsbestimmungen angeführt, die sich nach Anfragen beim Hausmeister der Beethovenhalle und bei der Feuerwehr als gegenstandslos erwiesen. Wesselterhorn behauptete kurzerhand, alle 23 Tanzpaare würden gegen Greten und van Vliet klagen, wenn Menezes auf der Tanzfläche spiele. Auch das erwies sich als unwahr.

Grotesk wurde es, als Fronhof lautstark drohte, er werde die Polizei rufen. Grund für seine Angst war offenbar der Afro-Brasilianer Menezes: „Dieser zu schwer pigmentierte Bursche hier ist das größte Problem.“ Lateinamerikaner, so scheint es, waren unerwünscht bei der Weltmeisterschaft in den lateinamerikanischen Tänzen. Als Greten und van Vliet auf ihrem geplanten Programm beharrten, sagte Fronhof auch ihnen kräftig die Meinung: „Wenn wir Deutsche in Holland machen würden, was wir wollten, dann würden wir als Nazis beschimpft und rausgeworfen werden.“

Das Regelwerk gibt Fronhof und Wesselterhorn keinesfalls recht. Der entsprechende Satz erwähnt nur eine „solo performance“, die das Paar tanzen müsse. Menezes wollte jedoch nicht mittanzen. Dann, so Fronhof einfallsreich, sei der Musiker als Utensil aufzufassen, und der Gebrauch von Utensilien sei verboten. Der Vergleich ist zynisch, denn als Utensilien werden normalerweise Hüte und Fächer oder Schleier angesehen. Den Einwand, daß Menezes eine Person sei, ließ Fronhof nicht gelten. Auch Präsident Karl Breuer, der noch am 13. November bei den Dutch Open keine Probleme hatte, Greten und van Vliet mit derselben Schau zum Siegerpaar zu machen, fand nun, ein Musiker auf der Tanzfläche sei doch verboten.

„Das war ein stundenlanger Krieg“, sagte Greten hinterher, und auch seine Anwältin versicherte, selten soviel Unverschämtheit begegnet zu sein. Sie erreichte immerhin, daß Menezes weit entfernt von der Tanzfläche seine Instrumente aufbauen durfte. Von dort konnte er die Tänzer allerdings kaum sehen, so daß die Abstimmung erheblich erschwert wurde. Die Holländer traten unter Protest auf. Nun muß sich der World Dance Council mit der Angelegenheit beschäftigen.

Das Publikum war vom holländisch-brasilianischen Auftritt begeistert. Nicht so die Richter. Am Ende reichte es zum fünften Platz. Vielleicht war die Kür der Holländer zu lateinamerikanisch, vielleicht büßten sie aber auch für ihren vermessenen Anspruch, etwas Neues machen zu wollen. Die Weltpremiere war tatsächlich eine Revolution und als solche wurde sie von den Mächtigen dieses Sport leidenschaftlich bekämpft.

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