: Fotografierte und Fotografierende: Francesca Woodmans Rollenspiel
Der französische Schriftsteller Philippe Sollers schreibt, sie behandle sich selbst wie eine Erscheinung; zuvor hatte die amerikanische Kunsthistorikerin Abigail Solomon-Godeau diese Erscheinung schon als ein Wunder bezeichnet. Das sind große Worte, die ein schmales fotografisches Werk aus den 70er Jahren meinen, das nun erstmals in einer Monographie vorgestellt wird, die in Zusammenarbeit mit der Fondation Cartier entstand. Denn Cartier zeigte in diesem Frühjahr eine Einzelausstellung der 1958 in Denver geborenen Künstlerin, die 1981, mit 22 Jahren, Selbstmord beging.
Wenn nicht ein Wunder, dann war Francesca Woodman doch ein Wunderkind. Sehr früh fing sie bereits an, fotografisch zu arbeiten, genauer gesagt mit dreizehn Jahren. Und man muß diese ersten Fotografien, das wird dank der Monographie deutlich, unbedingt ihrem ×uvre zurechnen. Es ist nämlich schon alles, was ihre weiteren Arbeiten auszeichnen wird, vorhanden. Vor allem hat sie bereits ihr zentrales Motiv gefunden, den weiblichen Akt, als dessen Modell sie selbst – für sich selbst als die Fotografin – inszeniert – manchmal auch dreifach, wie auf „Providence Rhode Island, 1975–78“.
Die Aktfotografie und die Verwendung gefundener Objekte, darunter immer wieder Spiegel, rücken sie in die Nähe der Surrealisten. Dazu trägt auch bei, daß sie den weiblichen Körper als Fetisch zeigt, als zerstückelten, markierten und (mit Strumpfhaltern, Boas, Strümpfen, Colliers etc.) maskierten Körper. Freilich, die Szenen, die Francesca Woodman für sich entwirft, haben immer ihren besonderen, unerhörten Dreh, der sie wiederum radikal von den Surrealisten trennt. So stellt sie beispielsweise die Maske nicht wie Man Ray neben das Gesicht des Modells, sondern vor ihr Geschlecht. Zwischen ihren gespreizten Beinen expliziert der Kopf der Medusa, was anderswo eher insinuiert wird. Und ganz leichthin mokiert sich die junge Fotografin wohl auch über die Überdeterminiertheit des weiblichen Körpers.
Obwohl ihre Fotografien aufgrund der Objekte, der Räume und des Lichts eher einer Traumzeit anzugehören scheinen als ihrer Entstehungszeit: In diesen Szenen webte der 70er-Jahre- Geist eines weiblichen Unbehagens an der Kultur zweifellos mit. Brigitte Werneburg
Hervé Chandès (Hg.), Francesca Woodman. Scalo Verlag/Fondation Cartier, Paris 1998, mit engl. Texten, 162 S., geb. DM 78
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