: In Quebec gewinnt der Verlierer
Bei den Wahlen in der kanadischen Provinz gewinnen die Liberalen, aber die separatistische Parti Québécois bleibt stärkste Fraktion. Ein Referendum über die Unabhängigkeit wird immer unwahrscheinlicher ■ Von Peter Tautfest
Washington (taz) – „Was die Quebecer wirklich wollen“, sagte vor Jahren einmal ein kanadischer Komiker, „ist ein unabhängiges Quebec in einem vereinigten Kanada.“ Durch das Ergebnis der Wahlen vom Montag in der Provinz Quebec ist der Komiker glänzend bestätigt. Die Mehrheit der Stimmen (43,5 Prozent) gewann die Partei des liberalen Herausforderers Jean Charest. Aber aufgrund der Art, wie die Sitze im Parlament verteilt werden, behielten der gegenwärtige Premier und Held der Separatisten Quebecs, Lucien Bouchard, und seine Parti Québécois mit nur 43 Prozent der Stimmen die Mehrheit der Sitze.
In diesen Wahlen standen sich zwei charismatische Politiker mit sehr klaren Alternativen gegenüber. Dabei spielte die Unabhängigkeit Quebecs eine untergeordnete Rolle. In der Provinz Quebec ist die Arbeitslosigkeit überdurchnittlich hoch und die staatliche Verschuldung die höchste im Land. In der benachbarten Provinz Ontario sind die wirtschaftlichen Bedingungen viel günstiger. Darauf baute Jean Charest, der Vorsitzende der Liberalen Partei, seinen Wahlkampf auf. Die relative Unterentwicklung Quebecs gegenüber dem restlichen Kanada sei der Preis für 30 Jahre Streit um die Verfassung Kanadas und den Platz Quebecs in der Nation. Es sei an der Zeit, das alles hinter sich zu lassen, die Staatsausgaben zu streichen und den Haushalt zu sanieren, war Charests Message.
Lucien Bouchard, der amtierende Premier Quebecs, hat fast mythische Proportionen im Bewußtsein der Quebecer angenommen. Seine Botschaft galt der Erhaltung des kanadischen Sozialstaats, vor allem der Krankenversicherung. Er versprach ein neues Referendum über die Zugehörigkeit Quebecs zu Kanada – wenn er 46 Prozent der Stimmen gewinnen würde und sich echte „Gewinnvoraussetzungen ergeben würden“.
Bisher verloren die Separatisten zwei Volksabstimmungen zum Status von Quebec, 1980 haushoch, 1995 um Haaresbreite. Umfragen zeigen, daß eine Mehrheit der Quebecer keine neue Volksabstimmung, wohl aber einen Premier will, der gegenüber der Bundesregierung in Ottawa Quebecs Interessen durchsetzen kann. Eine Abspaltung Quebecs wird immer unwahrscheinlicher.
Die vor 30 Jahren entstandene Separatistenbewegung, die ihre Energie aus der Unzufriedenheit vieler frankophoner Quebecer bezieht, die sich und ihre Kultur im angelsächsisch dominierten Kanada nicht ausreichend berücksichtigt fanden, hat an Popularität verloren. Dazu tragen Immigration und demographischer Wandel bei. Auch haben die 700.000 anglophonen Quebecer sowie mehrere Indianerstämme angekündigt, daß sie im Falle einer Abspaltung Quebecs sich ihrerseits von Quebec abspalten würden. Ein Urteil des obersten kanadischen Bundesgerichts hatte im August das Recht der Quebecer auf Abspaltung, aber auch das Kanadas auf Erhalt der Union bestätigt. Eine Trennung wäre also kein bloßer Willensakt und einfacher Schnitt, sondern ein komplizierter und schmerzhafter Verhandlungsprozeß.
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