: Die Alpen kommen unter die Räder
■ Ab 2000 dürfen auch 40-Tonnen-Laster den Gotthard überqueren. Mit dem Zugeständnis an die EU erkauft sich die Schweiz Handelserleichterungen. Erst in zehn Jahren sollen zwei neue Eisenbahntunnel den Verkehr reduzieren
Brüssel (taz) – Nach fast fünfjährigen Verhandlungen einigten sich gestern die 15 Verkehrsminister der EU mit der Schweiz auf ein Transitabkommen, das den Weg über die Alpen schrittweise auch für 40 Tonnen schwere Lastwagen freimacht. Bislang erlaubt die Schweiz nur 28tonner. Gleichzeitig wurden auch einheitliche Mindestsätze für Lkw-Gebühren in den EU-Ländern beschlossen.
Das heftig umstrittene Transitabkommen ist Teil eines Vertragspaketes der EU mit der Schweiz, das dem Nicht-EU-Land Handelserleichterungen einräumt und die Arbeits- und Studienmöglichkeiten von Schweizern in der EU verbessert. „Die Schweiz ist ein Stück näher an Europa herangerückt“, freute sich Bundesverkehrsminister Franz Müntefering (SPD), was auch insofern stimmt, als nun die Schweizer Berge unter die seltsame EU-Verkehrspolitik geraten.
Immerhin konnte sich der Berner Verkehrsminister mit seinen Gebührenforderungen durchsetzen, die den Verkehr etwas bremsen dürften. Durchschnittlich 200 Ecu, 390 Mark, wird eine Nord-Süd- Überquerung der Alpen kosten, wobei die Preise nach Gewicht und Schadstoffklassen gestaffelt sind. Derzeit zahlt ein 28tonner etwa 30 Mark, ab 2000 sind es 90 Mark, und dann geht es weiter aufwärts.
Damit sich die Schweizer nicht völlig überfahren fühlen, dürfen anfangs nur 250.000 schwere Laster durchfahren, bis 2004 wird langsam gesteigert, und von 2005 an wird nicht mehr gezählt. Mit den Einnahmen will die Schweiz den geplanten Lötschberg-Eisenbahntunnel bauen, durch den die Lastwagen dann per Bahn unter den Alpen durchgeschleust werden. Österreich hofft, daß mindestens 200.000 Lkw künftig nicht mehr über den Brenner, sondern über die Schweiz fahren werden. Dazu trägt auch die Erlaubnis der EU bei, die nach EU-Recht umstrittene Brenner- Maut beizubehalten.
Im Bemühen um eine Gesamtregelung beschlossen die Verkehrsminister, die Straßengebühren für Lkw in der gesamten EU einheitlich nach Ökostandards zu staffeln. Von Mitte 2000 an müssen alle EU- Länder zwischen 2.400 und 3.000 Mark pro Jahr und Lastwagen kassieren. Dafür wird aber die Kfz-Steuer für Brummis gesenkt. Ab 2002 sollen die Preise nach Kilometern berechnet werden.
Als Katastrophe für deutsche Arbeitsplätze sah gestern der deutsche Bundesverband Güterkraftverkehr und Logistik den Vertrag. Die Schweiz dürfe den deutschen Ex- und Import künftig „maßlos abzocken“. Manfred Schellhammer, Chef der Schweizer Tochter der Großspedition Kühne & Nagel, meinte hingegen, angesichts der Lkw-Schlangen auf den Autobahnen sei der Transport eher zu billig. „Wir verdienen unser Geld mit logistischen Dienstleistungen, jawohl. Aber das heißt nicht Gütertourismus.“
Damit liegt der Schweizer Spediteur eher auf einer Linie mit Umweltschützern. Eidgenössische Verkehrsinitiativen kritisierten gestern, die Schweiz werde mit dem Vertrag zum billigsten Transitland in den Alpen. Immerhin könnten schon in zwei Jahren 40tonner durch die Schweiz fahren, Gebühren würden aber erst viel später erhoben. Alois Berger
Tagesthema Seite 3, Kommentar Seite 12
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