: Musik verführt zu Sex, Suff und Widerworten
■ Die fundamentalistische Regierung im Sudan schwingt im Namen des Korans die Moralkeule gegen die Musik. Sie betrachtet die Freiheit der Kunst als Bedrohung ihres Regimes. Sänger und Gruppen sind ständigen Repressalien und Drohungen ausgesetzt. Dabei ist der Islam der Musik keineswegs so eindeutig feindselig gesonnen, wie die Nationalreligiösen glauben machen wollen
Popularität ist im Sudan keineswegs ein wirksamer Schutz. Selbst gefeierte Musiker bleiben in dem ostafrikanischen Land nicht von Verfolgung verschont. Mit Einschüchterung und Repressionen geht die Regierungspartei Nationale Islamische Front (NIF) gegen unerwünschte Sänger und Gruppen vor.
Sogar nationalistische Musiker wie Mohamed Wardi, Mohamed el-Amin oder Abu Araky al-Bakheit müssen mit Schwierigkeiten rechnen. Wardi, der schon während der Diktatur von Ja'afar Nimeiri in den siebziger Jahren im Gefängnis saß, entschloß sich Anfang der Neunziger, ins Exil zu gehen. Er befürchtete, früher oder später erneut verhaftet zu werden, denn eines seiner berühmtesten Lieder erinnerte an den Aufstand vom Oktober 1964, als General Abboud, der erste Obrist des unabhängigen Sudan, gestürzt wurde.
Die Lieder von Abu Araki al-Bakheit wurden, wie die Wardis, von der NIF verboten. Wenig später wurde er in Haft genommen. Als man von ihm verlangte, auf seinen Konzerten keine politischen Lieder mehr zu singen, beschloß er, ganz zu schweigen. Der öffentliche Aufschrei brachte ihn dazu, doch wieder aufzutreten und das Verbot der Behörden zu ignorieren. Es folgten ständige Schwierigkeiten und Drohungen. Nur seine enorme Beliebtheit bewahrt ihn vor Schlimmerem.
Weniger bekannte Musiker können darauf nicht zählen. Zu ihnen gehören „Igd al-Jalad“, ein Vokalensemble, das sich mit seinen demokratischen Liedertexten und authentischen Rhythmen einen Namen machte. Die Musiker wurden verhaftet und – wie es in den als „Geisterhäuser“ bezeichneten Internierungszentren der NIF üblich ist – bedroht und mißhandelt. Es waren besonders die Songs zu wirtschaftlichen Themen und über die durch den Bürgerkrieg hervorgerufene Hungerkatastrophe, die der Regierung mißfielen. Einige Mitglieder der Band verschwanden in Gefängnissen, andere setzten sich rechtzeitig nach Kairo ab.
Auch Musiker, die in ihren Liedern auf frühere – also vor dem Coup von 1989 geltende – Freiheiten anspielen, müssen mit Schikanen, Verfolgung und Strafe rechnen. Einmal wurde ein Violinist an den Stadtrand von Omdurman geschleppt und von sogenannten Sicherheitspolizisten zusammengeschlagen. Sie zertrümmerten seine Geige und forderten ihn auf, sich mit Religion statt Musik zu befassen. Daraufhin rezitierte er Koranverse und bewies ihnen damit, daß er den Koran wahrscheinlich besser kannte als sie.
Die Feindseligkeit der Regierung reflektiert zum einen die ambivalente Haltung der islamischen Lehre gegenüber der Musik. Und zum anderen zeigt sie – und das ist vielleicht noch wichtiger –, wie sehr sich die Mächtigen von der Popularität der Musiker, deren Lieder die Sehnsucht nach Freiheit und Demokratie symbolisieren, bedroht fühlen. Die NIF empfindet deshalb die Freiheit der Kunst als gefährlich. Sie könnte, so glauben sie, die Menschen gegen das Regime aufbringen.
Eine eindeutige religiöse Vorgabe ist Ablehnung von Musik allerdings nicht; der Koran ist in dieser Frage zweideutig. Einige Koranverse räumen der Musik im Leben der Menschen durchaus Platz ein. Andere Verse werden dagegen als striktes Verbot ausgelegt. Die Kalifen der Umayyad hielten Tänzer, Dichter und Musiker an ihren Höfen. Musik und Gesang konnten sich im neunten Jahrhundert mit Künstlern wie Ishaq al-Mousli und dem Komponisten und Sänger Ziryab frei entfalten.
Nach 1372, unter der Herrschaft der Abbasiden, begann man jedoch, Musik zu verteufeln. Sie verleite zu verbotenem Sex und Alkoholkonsum und halte die Gläubigen von ihren religiösen Pflichten ab. Auch das Tanzen fällt damit unter das Verdikt, eine unmoralische Beschäftigung zu sein. Im Gegensatz dazu gehörte für die Sufi-Gelehrten, die den Islam überhaupt erst in den Sudan brachten, Musik und Tanz zur religiösen Praxis. Das singende Rezitieren der Koranverse, das nicht als Musik verstanden wird, übte im übrigen unüberhörbar einen großen Einfluß aus die weltliche Musik aus.
Die NIF fürchtet zwar die Musik und ihre Interpreten, versucht aber zugleich, sie für sich einzuspannen. Zeiten der Repression wechseln sich daher mit Phasen der Kooperation ab. Beides dient letztlich aber einem Zweck: Kontrolle über die stärkste populäre Kraft zu gewinnen.
Die einzelnen Ämter und Behörden interpretieren das von 1990 stammende Gesetz zur öffentlichen Sicherheit darüber hinaus sehr unterschiedlich: Tonbandaufnahmen populärer Künstler sind oftmals frei auf dem Markt erhältlich, während dieselben Musiker in Rundfunk und Fernsehen nicht auftreten und auch auf Hochzeitsfeiern, der traditionellsten aller Musikaufführungen im Sudan, nicht spielen dürfen.
Zahllose Hochzeitsfeiern sind durch die Verhaftung des Bräutigams oder der Musiker geplatzt. Die Abteilung für „Moralkontrolle“ bei der sogenannten Schattenpolizei – offiziell: Allgemeine Verwaltung der öffentlichen Sicherheit – ist nicht nur für Drogenhandel und Prostitution zuständig, sondern auch für Konzerte und Hochzeitsfeste. Allein Anfang 1993 wurden sieben Sänger verhaftet. Als ein örtlicher Polizeichef im selben Jahr allerdings versuchte, die Auflagen für Hochzeitsfeste prinzipiell zu verschärfen, provozierte er drei Tage andauernde Massenunruhen.
Um zu beweisen, daß Kunst sich durchaus kontrollieren läßt, führte die NIF das Programm „Islamisierung der Künste“ ein; alle Künstler und Produktionen in Theater, Kino oder Konzertsaal müssen von islamischen Juristen abgesegnet werden. Dabei wird oft sogar zur Auflage gemacht, islamistische Ideale zu fördern und Lieder über den Heiligen Krieg zu singen. Neben „minderwertiger“ westlicher Musik werden zuweilen auch diverse Volksmusik- und Tanzveranstaltungen, die diesen Kriterien nicht genügen, verboten. Auf diese Weise werden die Stimmen minoritärer Kulturen noch wirkungsvoller erstickt; besonders die des christlich geprägten Südteils des Landes, gegen den der islamische Norden seit zwanzig Jahren Krieg führt.
Unmittelbar nach dem Putsch von 1989 wurde dem Sender Radio Omdurman verboten, Musik zu spielen. Einzige Ausnahme: religiöse und NFI-Lieder. Sämtliche Videos und Musikkassetten, auf denen vom Küssen, Weintrinken oder gar von Politik die Rede war, wurden gelöscht und mit NIF-Reden und Predigten neu bespielt. Viel unersetzbares Archivmaterial ist so verlorengegangen.
In Rundfunk und Fernsehen wird massenhaft Sendezeit für aggressive Beiträge, in denen Prediger der NIF-Moscheen die Musiker scharf angegreifen, zur Verfügung gestellt; sie denunzieren alle, die eine andere als religiöse Musik machen als moralisch korrumpiert.
Resultat ist eine Atmosphäre von Hysterie und Intoleranz, die im November 1994 in der Ermordung des Sängers Khogali Osman gipfelte. Ein Mann betrat den Club des Sängers in Omdurman, brachte ihn mit Messerstichen um und verwundete mehrere andere Menschen schwer, darunter auch den international bekannten Abdel Qadir Salim.
Die Musikergewerkschaft von Khartum bat daraufhin um Sendezeit, um ein ausgewogeneres Bild ihrer Arbeit geben zu können und ihre Kunst zu verteidigen. Die Antwort waren Drohungen gegen die Musiker und ihre Familien. Peter Verney
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