: Zen oder Die edle Kunst, ein Egoist zu sein
Ein einfacher Straßentest genügt. Bunte Hemden, farbige Pullover oder grelle Jacken sind mega-out. Was nicht schwarz, beige oder grau daherkommt, wirkt finster und ärmlich. Favorisiert wurde bei den Pariser Modenschauen asiatisch drapierte Schlichtheit. Selbst Donna Karan oder Jil Sander schwören auf den Minimalismus des Zen. Sie beteuern, daß es immer weniger auf schöne Kleidung als vielmehr auf innere Schönheit ankomme. Eine häßliche Augenwischerei, die einen offenbar unausrottbaren Irrtum verschliert: daß ein unschönes Äußeres auf ein wertvolles Inneres schließen ließe. Eine Modekritik zum anstehenden Winterschlußverkauf ■ von Anja Seeliger
Eine der schicksten und teuersten Boutiquen in Paris ist gleichzeitig der netteste Laden der Stadt. „Colette“ in der vornehmen Rue Saint Honoré hat ein buntgemischtes Publikum aus Geschäftsfrauen, reichen Ehefrauen, Studentinnen und alten Damen. Im Erdgeschoß gibt es ein kleines Sortiment an Turnschuhen, ein paar Pullover und Jacken, die als Streetwear durchgehen, und Schnickschnack wie japanische Taschenrechner, Wassergläser und Pfeffermühlen.
In einer Ecke kann man sich die Fingernägel lackieren lassen. Daß die Kleider im ersten Stock vom Feinsten sind, darauf wies vor drei Wochen ein kirschroter Ledermantel von Yves Saint-Laurent im späten Sechzigerjahrestil hin. Der hing neben der Treppe. Er war so, daß Marc Bolan dafür nicht smart genug gewesen wäre und Jim Morrison nicht glamourös genug.
Eine Etage höher erstarrte der Kunde: Die ganze Etage nur schwarz, grau und beige. Seriöses Elend in Kaschmir. Noch eine kleine Auswahl an ultraleichten Revolvern aus Titan, Zyankalidöschen aus japanischem Papier und handgeknüpften afghanischen Hanfschlingen – und das Angebot wäre komplett.
In Paris ist es nicht überall wie bei Colette. Bei „L'Eclaireur“, einem anderen erstklassigen Modegeschäft, war es schlimmer. Hier gab es nicht nur keine Farben, die meisten Wollkleider schienen auch überhaupt keine Formen mehr zu haben. Wintermode 1998: das sind Übergrößen in Mausfarben.
Was das zu bedeuten hat? Westliche Politiker und Wirtschaftsmagnaten haben jahrelang behauptet, der Westen müsse asiatische Werte wie totale Identifikation mit der Firma, grenzenlose Bereitschaft zu Überstunden und die Prügelstrafe für jugendliche Autodiebe übernehmen. Jetzt meinen dieselben Herrschaften, wenn auch etwas leiser, daß die Wirtschaftskrise in Asien vielleicht mit dem Fehlen westlicher Werte wie Demokratie, Pressefreiheit und Pluralismus zu tun hat. Der Westen könnte sich also in Schale schmeißen und ein bißchen feiern.
Doch was machen die Modedesigner? Gucken nach Japan, ausgerechnet! Und transformieren „die alte Philosophie des Zen in seelenvolle Frauenmode“, wie es kürzlich in der International Herald Tribune hieß, die einige in Mailand ansässige Modedesigner des Zen vorstellte.
„Die ultimative Zenerfahrung ist, wenn ich in einem tibetischen Kloster sitze, vor mir eine Gebetsmühle und rings um mich der Himalaja.“ Die da so gemütlich im Kloster hockt, ist die erfolgreiche Textildesignerin Sancita Ajumpur. Regelmäßig pendelt sie zwischen ihrem Haus am Lago Maggiore und dem tibetischen Kloster.
Denn nur am Himalaja kommen ihr die Ideen. Zum Beispiel Baumwollgewebe mit Ananasharz zu bestreichen, so daß es eine papierne Qualität erhält. Hier hat sie mit indischen Meisterwebern Jacquardbrokate entworfen, Seide handbemalt und Pfauenfedern mit Silberfäden verwoben. Ob es nun an der Zenerfahrung oder den Techniken und Kenntnissen indischer Weber liegt: Ajumpurs Stoffe sind von einer Qualität, die selbst in der Haute Couture Gnade findet.
Die Designerin Maria Spadafora fährt nicht nach Tibet. Sie hat sich in ihrem Mailänder Appartement einen Zenraum eingerichtet, in dem sie täglich meditiert: „Zu Beginn jeder Saison habe ich dann die wundervollsten Ideen. Ich arbeite gern mit Material aus der Tierwelt, Alpaka, Wolle und Seide, so daß man beim Tragen die Energie des Tieres fühlt.“
So, wie man die Tapferkeit des Feindes fühlt, wenn man dessen noch pochendes Herz verspeist? Der italienische Designer Gugliemo Capone, der sich durch östliche Atemtechniken entspannt, sagt, er liebe es, in seiner Arbeit, „Gefühle auszudrücken“. Die Designerin Emi Kurebayashi, die dieses Jahr von Japan nach Mailand kam, faßt es so zusammen: „Mode bedeutet heute, nach innen zu sehen und seine inneren Qualitäten zu zeigen.“
Die Kollektionen der Zendesigner haben viel gemeinsam: viel Handarbeit, Naturfasern, Nichtfarben und lose bis weite Silhouetten. Vor zwanzig Jahren nannte man Mädchen in solchen Kleidern „natürlich“, was hieß, sie hatten kein Talent zum „Künstlichen“. In der Regel hatten sie überhaupt kein Talent. Aber die Vorstellung, daß ein unansehnliches Äußeres todsicher auf ein wertvolles Inneres hinweist, ist anscheinend unausrottbar.
Japaner denken da praktischer. Sie übersetzen Zen im Design mit „wenig Aufwand, große Wirkung“. Bestes Beispiel dafür ist „Muji“, ein neues Modegeschäft in Paris. Hier gibt es Einrichtungsgegenstände, Papierwaren und was man sonst so im Haushalt braucht, von der Klobürste bis zum Waschlappen. Die Möbel, die man sich aus Kartonrohren selbst zusammenstecken kann, haben die passende Größe für die winzigen Einpersonenhaushalte in japanischen Großstädten.
„Muji profitiert von der japanischen Krise“, erklärte Masato Otsuki, Direktor des Unternehmens in Frankreich, kürzlich in Le Monde. Die Firma, 1980 in Tokio gegründet, hat inzwischen weltweit knapp dreihundert Geschäfte. Mit der Vergrößerung der Produktion konnte das Unternehmen inzwischen die Preise der meisten seiner Produkte senken.
Das Design ist billig und schlicht. Papierkörbe sind aus fester Pappe, Behälter für CDs wie solche für Kassetten, Mehl oder Zucker aus Plexiglas. Außerdem gibt es Kleider als minimalistische Grundgarderobe – Sweatshirts, weiße Hemden, beige Pullover, schwarze Hosen, Unterwäsche. Alles ohne Markenzeichen. „Die Kleider verkörpern den Geist des japanischen Zen, wir haben praktisch keine Farben“, erklärt Yoichi Nagasawa, der seit 1990 als Textildesigner für Muji arbeitet.
„Die Basisstücke kehren jede Saison wieder. Veränderungen gibt es nur im Detail, beim Kragen oder der Ärmellänge.“ Die Sachen sind praktisch und umweltfreundlich, solange sich das mit Haltbarkeit und niedrigen Preisen verträgt. Die Pullover (zirka 120 Mark) sind aus Wolle, aber Anzüge, die länger halten müssen, sind aus Mischgewebe. Die Pariser schleppen ihre Einkäufe hier tütenweise raus.
Woher kommt dieser plötzliche Hang zum Unspektakulären und Soliden? „Ich hatte das Bedürfnis nach Kleidern, die mich schützen“, erklärte Jil Sander ihre dickwattierten Winterkleider einer französischen TV-Journalistin. Die Umsatzeinbrüche westlicher Modehäuser in Asien machen das verständlich.
Der französische Luxuskonzern LVMH, dem u.a. die Modehäuser Dior, Givenchy und Lacroix gehören, meldet für die ersten neun Monate dieses Jahres einen Umsatzrückgang von acht Prozent. Im letzten Vierteljahr ging der Umsatz sogar um weitere fünf Prozent zurück. Versace rechnet für dieses Jahr mit einem Umsatzrückgang in Asien von dreißig Prozent, Armani immerhin mit 25 Prozent.
Doch so arg kann das nicht sein. Denn die gleichen Modehäuser erwarten auch dieses Jahr eine Steigerung des Umsatzes. Mit anderen Worten: Die Modehäuser machen in Europa und den USA wett, was sie in Asien verlieren.
Stephen di Renza von Agaf, einer Pariser Einkaufsagentur, die für Neiman Marcus in den USA arbeitet, erklärte in der International Herald Tribune: „Eins ist klar, der kitschige Glamour liegt hinter uns. Es ist vorbei mit der Barbiepuppenästhetik. Man zieht sich nicht mehr an, um anderen zu gefallen, sondern um sich selbst zu gefallen.“ Was für ein Egoismus!
Als Designerkleider noch andere beeindrucken sollten, war der Luxus dem Allgemeinwohl verpflichtet. Wer sich die teuren Kleider nicht leisten konnte, durfte sich wenigstens an dem spektakulären Anblick erfreuen. Vorbei! Müde registriert das Auge des Betrachters die glanzlose Außenseite einer teuren Jacke. Die Trägerin dagegen genießt still das wohlige Gefühl von Kaschmir auf der Haut und die versteckte Pracht des kostbaren, von Hand eingenähten Futters.
Der Handel fährt nicht schlecht mit dieser neuen Mode. In Asien waren es meist junge Leute, die Designerkleider gekauft haben. In Europa und den USA, deren geburtenstarke Jahrgänge langsam fünfzig werden, sieht das ganz anders aus. Da machen lose geschnittene Kleider allerdings Sinn. Eine Frau mit Größe 44 paßt bequem in die Riesenpullover und langen weiten Röcke, die es wie die meisten Designerkleider nur bis Größe 42 gibt.
Aber sie würde niemals in ein engtailliertes Kostüm der Größe 42 passen. Diesen für Fabrikanten und Einzelhändler praktischen Umstand mit dem Satz „Auf die inneren Qualitäten kommt es an“ zu verkaufen, ist nicht nur ein Werbetrick. Er trifft perfekt auf die Stimmung der Kundschaft. Die Babyboomer haben Einfluß, Geld, eine erfolgreiche Karriere... Fehlt da noch was? Genau, innere Qualitäten.
Die amerikanische Designerin Donna Karan hat das schon vor drei Jahren erkannt, als sie sich, die erfolgreichste Designerin der Welt, in der amerikanischen Vogue selbst beschrieb: „Ich war müde... Ich war zornig, überwältigt, ängstlich und verstört.“ Die neue Donna Karan dagegen sei ruhiger. Sie jage nicht mehr Modetrends hinterher, sie wolle sich selbst mögen. Das war im September 1995. Nachdem die Sache nun zum Trend geworden ist, hat die Vogue im Oktober Oprah Winfrey auf ihr Cover genommen.
Die 45jährige wurde in den USA mit ihren Talkshows ein Superstar. Bevor sie für das Cover fotografiert wurde, stellte das Magazin jedoch eine Bedingung: Winfrey mußte zwanzig Pfund abnehmen. Die muß ja innere Qualitäten haben.
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