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Vom Geschlecht der Luftballons

■ Vierzehn Künstler des Blaumeierateliers stellen unter dem Titel „Von 9 wegen“ in der Städtischen Galerie im Buntentor aus

Art brut: Das sind entweder klobige Menschenmonster mit ingwerwurzeligen Knollenausbuchtungen im Stile Jean Dubuffets oder aber kleinfutzelige Labyrinthe, die in irre biografische Abgründe hineinlocken – im Stile Adolf Wölflis. Blaumeier dagegen ist Blaumeier. Also mehr als Knollenmonster und Labyrinth. Jüngst kaufte ein Museum für die Kunst von Geisteskranken bei Blaumeier ein. Natürlich wählten diese Kleingeister das Wölfli-Ähnlichste aus: Auch die vermeintlichen Gönner der Normdurchbrechung haben so ihre Normen.

Einiges, was zur Zeit in der Städtischen Galerie von 14 Blaumeiern zu sehen ist, könnte auch links um die Ecke in der Weserburg hängen. Tachismus, Monochromes, eine pop-artige Freiheitsstatue, die selbstbewußten, nackten Frauen einer Jungen Wilden: Es ist bemerkenswert, wie nahe dran die Kunst von Blaumeiers Behindert-Normalen, Normal-Behinderten, psychisch Kranken und Down-Syndrom-Erkrankten der Avantgarde auf den Fuß folgt. Zwar traut man sich noch keine Videokunst oder Performances zu, bei der Stilvielfalt der 60er Jahre ist man aber locker schon angekommen. Und ein wunderbarer Indianer von Klaus Thalmann, der „der ganzen Welt die Zunge herausstreckt, weil die Indianer von den Amis überrollt wurden“ erinnert an die Gemüseköpfe des manieristischen Renaissancemalers Archimboldo.

Da regt sich Verdacht: Werden die Blaumeier etwa von ihren vier Kunsttherapeuten durch de Kooning-, Graubner-, Warhol- & Co-Vorlagen infiltriert. „Nicht von uns, höchstens von Helmut“, beteuern die Betreuer. Der BetreuTe Helmut Mahlstedt nämlich schleppt Berge von Katalogen und GEO-Heften ins Blaumeieratelier an – und beeinflußte damit, nein, nicht die echten Blaumeier, sondern eine fröhlich-ironische Bildserie des Betreuers Alfons Römer: So verlaufen hier die Linien des Einflusses.

Römer hat sich nämlich eines von Mahlstedts GEO-Heften geklaut und aus einem New York-Artikel Bild- und Satzfragmente isoliert und neu konfiguriert. Nicht nur sein Material, auch sein Interesse an New York ist klassisch fremdbestimmt. Genauer gesagt stammt es von Colette Bobertz und – wieder – Helmut Mahlstedt. Für den religiösen Ikonenmaler Mahlstedt ist Amiland natürlich ein Reich des Bösen. Colette Bobertz dagegen hofft, daß Amiland genauso schelmisch, bunt und heiter ist, wie ihre eigenen Bilder und Skulpturen von der Freiheitsstatue. Am nächsten Dienstag dürfen beide endlich ihren Traum an der Wirklichkeit reiben; und Alfons Römer ist ihr glückliches Anhängsel im Flieger.

Glücklich ist auch Boleslaw Jankowski. Sogar satte 24 x 32 mal, verraten Schriftzüge in einem kleinen Bild. Jankowskis größere Arbeiten dagegen sind diskreter: Mal strömt ein Dickicht aus lindgrünen Tröpfeleien gen Erde, mal läßt eine großzügige, freundlich-pinkfarbene Flächenverkleisterung ein kleines Stück Geheimnis offen.

Oliver Flügge hält Verbindung zur weiten Welt durch eine Sammlung von Hüten aus aller Herren Länder. Auch ein Sombrero ist dabei. Kein Wunder, daß er in seinen Aquarellen bohrende, neugierige, welterkundende Augen aus engen Schlitzen herausspähen läßt. Er darf nicht mit nach Amiland, war aber immerhin schon mal in London. Am schönsten aber ist eine riesige Blauorgie, gegen die Yves Klein alt aussieht. Scheinbar ist sie abstrakt. In Wahrheit aber zeigt das Bild eine Pizza unter mediterranem Himmelsgewölbe.

Für Heinz Gräpendorf dagegen ist die Kunst eine weltfremde „Feste Burg“ fast schon im biblischen Sinne. Im Atelier waltet er im Blaumann als Alleinherrscher mit dickem Pinsel inmitten eines Kreises von vier oder fünf Leinwänden. Zügig werden diese durch Grün oder Orange zum Glimmen gebracht; eine Malsituation, die in der Städtischen Galerie durch räumliche Hängung nachempfunden wird.

Gräpendorfs Grün, (nicht gerade) dazu schreibt Cornelia Koch: „Bei mehr oder minder starken Stimmungsschwankungen handelt es sich um einen grünlichen Atlas.“ Sie notierte dies in einem atlas(?)grünen Fitzelchen auf eines ihrer rede-seligen Bilder. Solch farbthe-oretische Erläuterungen sind aber bei Koch selten. Meist kartografiert sie ihre Biographie anhand von komplizierten Diagrammen mit vielen Pfeilen. Die verweisen auf kausale Zusammenhänge zwischen Lebensaltern, Umgebung, etc. An einem Dreieck mit der Aufschrift „Meine seelische Einstellung“ baumelt ein Schwarm von Luftballons. „Immer frohen Muts“, notiert die Luftballonseglerin andernorts. Schließlich feierte sie vor einem halben Jahr das 20jährige Jubiläum des Endes ihrer Schüchternheit.

Diese Ausstellung ist ein wichtiger, schöner Einspruch gegen Dubuffets Kitschvorstellungen vom edlen Wilden: Die Kunst von sogenannten Geistesgestörten ist eben keine reine Enklave des Echten jenseits einer verkopften Kunstgeschichte; sie ist ein Teil davon. Deshalb verschweigt Blaumeier mit Recht beharrlich, welche Künstler Normalos sind und welche Irre. bk

Bis 17. Januar. Um welche Pizza-sorte es sich auf seinem Meisterwerk handelt, kann man Oliver Flügge bei der Vernissage heute um 20 Uhr fragen. Kaufen kann man sie auch!

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